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Seitenwechsel

Seitenwechsel

Titel: Seitenwechsel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nella Larsen
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zerbrochene Teetasse. Dunkle Flecken sprenkelten den hellen Teppich. Breiteten sich aus. Das Geplauder hörte schlagartig auf. Ging weiter. Vor ihr sammelte Zulena die weißen Scherben auf.
    Wie aus der Ferne drang Hugh Wentworths abgehackte Stimme an ihr Ohr, obwohl er auf wundersame Weise an ihrer Seite war. »Verzeihung«, sagte er. »Muss Sie angestoßen haben. Wie ungeschickt von mir. Sagen Sie bloß nicht, dass sie unbezahlbar und unersetzlich ist.«
    Das tat weh. Lieber Gott! Wie das wehtat! Aber daran durfte sie jetzt nicht denken. Nicht, wenn Hugh dasaß und Entschuldigungen und Lügen murmelte. Die Bedeutung seiner Worte, die Fähigkeit seiner Wahrnehmung mahnten sie zur Vorsicht. Ihr Stolz empörte sich. Der Teufel sollte Hugh holen! Etwas musste gegen ihn unternommen werden. Auf der Stelle. Gegen sein Wissen konnte sie anscheinend nichts tun. Dafür war es zu spät. Aber sie konnte und würde ihn davon abhalten, zu erfahren, dass sie es wusste. Sie konnte, sie würde es ertragen. Sie musste es. Da waren die Jungen. Ihr ganzer Körper spannte sich. Und nun verstand sie, dass sie zwar alles ertragen konnte, aber nur, wenn niemand wusste, dass sie etwas ertragen musste. Es tat weh. Es machte ihr Angst, aber sie konnte es ertragen.
    Sie wandte sich an Hugh. Schüttelte den Kopf. Hob unschuldig dunkle Augen zu seinen besorgten hellen Augen. »O nein«, protestierte sie, »Sie haben mich nicht angestoßen. Hand aufs Herz, und ich erzähle Ihnen, wie es passiert ist.«
    »Abgemacht!«
    »Haben Sie die Tasse gesehen? Nein, da haben Sie Glück gehabt. Sie war das Hässlichste, was Ihren Vorfahren, den reizenden Konföderierten, je gehört hat. Ich habe vergessen, vor wie viel tausend Jahren sie Brians Ur-Ur-Großonkel gehört hat. Aber sie hat, beziehungsweise hatte, eine schöne, uralte Geschichte. Wahrscheinlich wurde sie heimlich, auf dem Schleichweg, nach Norden gebracht. Ja, wie so manches. Das Ganze läuft darauf hinaus, dass mir nie eingefallen ist, wie ich mich ihrer entledigen könnte, bis vor fünf Minuten. Da hatte ich eine Eingebung. Ich musste sie nur zerbrechen und wäre sie für alle Zeiten los. So einfach! Und daran hatte ich nie gedacht.«
    Hugh nickte, und ein eisiges Lächeln breitete sich über sein Gesicht aus. Hatte sie ihn überzeugt?
    »Dennoch«, fuhr sie mit einem kleinen Lachen fort, das ihrem Eindruck nach kein bisschen gezwungen klang, »bin ich durchaus einverstanden, dass Sie die Schuld auf sich nehmen und gestehen, dass Sie mich im falschen Moment angestoßen haben. Zu was hat man denn Freunde, wenn nicht, dass sie einem dabei helfen, Sünden zu tragen? Brian wird jedenfalls hören, dass es Ihre Schuld war. – Noch Tee, Clare? … Ich habe keine Minute mit dir gehabt … Ja, es ist eine nette Party … Du bleibst doch hoffentlich zum Essen … Ach, zu schade! … Ich werde mit den Jungen allein bleiben … Sie werden traurig sein. Brian hat eine medizinische Tagung oder so … Schönes Kleid, was du anhast … Danke … Auf Wiedersehen; hoffentlich bis bald.«
    Die Uhr schlug. Ein Mal, zwei Mal. Drei Mal. Vier Mal. Fünf Mal. Sechs Mal. War es, konnte es sein, dass kaum mehr als eine Stunde vergangen, seit sie zum Tee heruntergekommen war? Ein Stündchen.
    »Müssen Sie gehen? … Auf Wiedersehen … Ganz herzlichen Dank … Schön, Sie zu sehen … Ja, Mittwoch … Liebe Grüße an Madge … Tut mir leid, aber am Dienstag bin ich ausgebucht … Oh, wirklich? … Ja … Auf Wiedersehen … Auf Wiedersehen …«
    Es tat weh. Es tat höllisch weh. Aber das machte nichts, wenn niemand Bescheid wusste. Wenn alles so wie vorher weitergehen konnte. Wenn die Jungen in Sicherheit waren.
    Es tat richtig weh.
    Aber das machte nichts.

zwei
    Aber es machte doch etwas aus. Es machte mehr aus als alles je zuvor.
    Wie bitter! Dass die eine Befürchtung, die eine Ungewissheit, Brians Fernweh, zu einer kindischen Belanglosigkeit verblasst war! Und damit auch der Mut selbst und die Entschiedenheit, die sie aufgeboten hatte. Vor den Bildern in ihrer Phantasie und den Gefahren, die sie nun sah, schreckte sie zurück. Gegen diese hatte sie weder Abhilfe noch Mut. Verzweifelt versuchte sie, das Wissen zu verdrängen, aus dem dieser Wirbel der Gefühle entstanden war und den zu beruhigen oder zu ersticken ihr die Kraft fehlte. Und es gelang ihr annähernd.
    Denn, so argumentierte sie, was gab es, was hatte es Vorweisbares gegeben, damit sie auch nur halbwegs richtiglag mit ihrer quälenden Vorstellung?

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