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Seitenwechsel

Seitenwechsel

Titel: Seitenwechsel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nella Larsen
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verblüfft. »Willst du damit andeuten, Clare sei dumm?«, fragte er und betrachtete sie mit hochgezogenen Augenbrauen, was den Zweifel in seiner Stimme unterstrich.
    Sie wischte sich die Coldcream vom Gesicht, bevor sie sagte: »Nein, gar nicht. Sie ist nicht dumm. Sie ist auf eine rein weibliche Art intelligent genug. Das Frankreich des achtzehnten Jahrhunderts wäre eine herrliche Kulisse für sie gewesen oder die alten Südstaaten, wenn sie nicht den Fehler gemacht hätte, als Schwarze geboren zu werden.«
    »Ach so. Intelligent genug, um ein eng geschnürtes Korsett zu tragen und sich Verehrer zu halten, die Komplimente flüstern und fallen gelassene Fächer aufheben. Ein ziemlich hübsches Bild. Ich meine allerdings, dass ein verstohlener Hintersinn darin liegt.«
    »Na gut, dazu kann ich nur sagen, dass du es verkehrt auffasst. Niemand bewundert Clare mehr als ich für ihre Art von Intelligenz und auch für ihr dekoratives Talent. Aber sie ist nicht – sie ist nicht – sie hat nicht – Ach, ich kann es nicht erklären. Nimm zum Beispiel Bianca oder, um bei der Rasse zu bleiben, Felise Freeland. Gutes Aussehen und Verstand. Wirklicher Verstand, der sich gegen jeden behaupten kann. Clare hat Verstand von einer Art, der ihr nützlich ist. Auf Gewinn aus, verstehst du. Doch sie würde einen Mann wie Hugh zu Tode langweilen. Ich habe nie gedacht, dass Clare auf einer privaten Party, zu der sie nicht eingeladen ist, auftauchen würde. Aber das sieht ihr ähnlich.«
    Einen Augenblick herrschte Schweigen. Sie füllte den hellroten Bogen ihrer vollen Lippen ganz aus. Brian wandte sich zur Tür. Seine Hand lag auf dem Griff. »Tut mir leid, Irene. Es ist allein meine Schuld. Sie schien so verletzt, dass sie nicht eingeladen war, und darum habe ich ihr gesagt, du hättest es sicherlich vergessen und sie solle doch einfach kommen.«
    Irene schrie auf: »Aber Brian, ich –« und hielt inne, erstaunt über den heftigen Zorn, der in ihr aufgewallt war.
    Brians Kopf drehte sich ruckartig um. Seine Augenbrauen waren hochgezogen, wie befremdet, überrascht.
    Ja, ihre Stimme hatte eigenartig geklungen. Aber sie hatte unwillkürlich das Gefühl, dass es nicht die einzige Ursache für sein Verhalten gewesen war. Und das kaum bemerkbare Straffen seiner Schultern. War es nicht wie das eines Mannes gewesen, der sich aufrichtet, um sich gegen einen Schlag zu wappnen? Ihre Angst zielte wie eine scharlachrote Lanze des Schreckens auf ihr Herz.
    Clare Kendry! Das war es! Unmöglich. Das durfte nicht sein.
    Im Spiegel sah sie, dass er sie noch immer mit jener Verwunderung ansah. Sie senkte den Blick auf die Tiegel und Flakons auf dem Frisiertisch und begann sie mit zittrigen Fingern zurechtzurücken.
    »Natürlich bin ich froh«, sagte sie wachsam, »dass du es getan hast. Und trotz meiner Bemerkungen von vorhin, Clare bereichert wirklich jede Party. Man schaut sie so gern an.«
    Als sie wieder hinsah, war die Verwunderung aus seinem Gesicht und die Angespanntheit aus seiner Haltung verschwunden.
    »Ja«, stimmte er zu. »Ich glaube, ich gehe jetzt. Zumindest einer von uns sollte unten sein.«
    »Hast recht. Einer sollte dasein.« Sie war überrascht, dass sie in ihrem normalen Ton sprach, obwohl sie im Innersten getroffen war, da jene dumpfe, unbestimmte Angst unversehens zu Panik geworden war. »Ich komme runter, bevor du es merkst«, versprach sie.
    »Ist gut.« Doch er zögerte noch. »Bist du dir ganz sicher? Macht es dir nichts aus, dass ich sie eingeladen habe? Nicht allzu viel, meine ich? Mir ist klar, dass ich mit dir hätte sprechen sollen. Auf Frauen ist Verlass, sie haben für alles ihre Gründe.«
    Sie tat so, als werfe sie ihm einen Blick zu, brachte ein kleines Lächeln zustande und wandte sich ab. Clare! Einfach grässlich!
    »Ja, nicht?«, sagte sie, bemüht, ihre Stimme beiläufig klingen zu lassen. Sie spürte eine Verhärtung des Herzens, das Gefühl war nicht verschwunden, aber unterdrückt. Und diese Verhärtung nahm immer mehr zu. Warum ging er nicht? Warum nicht?
    Endlich hatte er die Tür geöffnet. »Du brauchst doch nicht mehr lang?«, fragte er, ermahnte er sie.
    Sie schüttelte den Kopf, konnte nicht reden, etwas schnürte ihr die Kehle zu, und das Durcheinander im Kopf glich wildem Flügelschlagen. Hinter sich hörte sie den leisen Knall der Tür beim Zufallen und wusste, er war fort. Zu Clare.
    Lange saß sie da, angespannt und wie erstarrt. Das Gesicht im Spiegel verschwand aus ihrem Blickfeld,

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