Seitenwechsel
würde. Dummerweise hatte ich damals die frühmorgendliche Versammlung, in der er sich als unser neuer Chef vorgestellt hatte, verpasst, weil ich schlicht und ergreifend einen Kater gehabt hatte. Tim hatte mich gebeten, ihn am Abend zuvor auf die wichtige Feier irgendeines wichtigen Kollegen zu begleiten, und weil ich bei den wichtigen Diskussionen über Schulformreform und Turboabitur nicht mitreden konnte, hatte ich stattdessen einen sehr regen Austausch mit der Sekt-Bowle geführt. Natürlich konnte ich das Hannes damals nicht auf die Nase binden, als ich mich bei meinem neuen Chef mit einer Stunde Verspätung und heiserer Stimme vorstellte. Bei diesem Treffen machte er stattdessen zum ersten Mal Bekanntschaft mit meinen spontan auftretenden Grippeanfällen, die ich für meine Verspätung und mein derangiertes Erscheinungsbild verantwortlich machte. Aber er hatte mich vermutlich schon damals durchschaut und während des gesamten Gesprächs arrogant angegrinst. Zumindest hielt ich es für Arroganz, was vielleicht auch mit meinem pochenden Schädel zu tun hatte. Außerdem erfuhr ich während des gesamten Gesprächs rein gar nichts über die Pläne meines zukünftigen Ressortleiters und konnte im Gegenzug auch nicht mit meinen preisgekrönten Reportagen angeben, für die mir unser bisheriger Chef immer freie Hand gelassen hatte. Hannes stellte mir ein paar Fragen, die ich durchweg mit Nein beantworten musste, bat um Verbesserungsvorschläge, die ich ihm nicht machen konnte, und als er sich am Ende danach erkundigte, welche Tipps ich ihm mit auf den Weg geben könnte, beschränkten sich meine Ratschläge auf eben jene legendäre Warnung vor unserem Kantinenkaffee und den Hinweis auf den ausgezeichneten Mokka vom Türken gegenüber: »Von außen sieht der Laden aus wie ein Geheimtreff für islamistische Untergrundorganisationen, aber der Kaffee ist unschlagbar!«
Schon auf dem Weg aus seinem Büro wurde mir klar, dass das nicht die Art von Tipp war, die er von mir erwartet hatte. Und als ich endlich wieder an meinem Schreibtisch saß, hätte ich mich am liebsten den Rest des Tages darunter verkrochen. Erst recht, als Hannes keine fünf Minuten später mit einem Plastikbecher aus genau diesem türkischen Laden vorbeikam und mir freundlich zunickte.
»Stimmt, das war unser allererstes Zusammentreffen«, pflichtete ich Hannes bei, als er seine wesentlich positivere Variante davon beendet hatte. »Aber verliebt haben wir uns ja erst viel später.«
Hannes lächelte merkwürdig verklärt und strich mir lieber durch die Haare, als mir zuzustimmen. Ich schaute ihn irritiert an. Mein Gott, wollte er damit etwa sagen, dass Tim es die ganze Zeit über besser wusste? War zwischen Hannes und mir etwa von Anfang an etwas gewesen? Ich hatte Tim an dem Abend wirklich viel von Hannes erzählt, und wenn ich genau darüber nachdachte, hatte ich es getan, weil er mir einfach nicht egal gewesen war. Ich hatte mich damals über mich selbst aufgeregt, weil es mir nicht egal gewesen war, was mein neuer Chef von mir dachte, und zwar nicht nur in seiner Funktion als mein neuer Chef. Ich wusste, dass er mich wegen der Kaffeegeschichte bestimmt nicht feuern würde. Es ging um etwas ganz anderes, und Tim hatte mich sofort durchschaut. Vor allem, als ich ihn auch noch für das misslungene erste Treffen zwischen Hannes und mir verantwortlich machte, weil es seine Party gewesen war, auf der ich mich betrunken hatte. Je länger ich darüber nachdachte, desto selbstverständlicher fügten sich alle Teile zu der einzig möglichen Erkenntnis zusammen. Hannes hatte von Anfang an eine Saite in mir berührt, sonst wäre ich damals nach dem Kino nie mit zu ihm nach Hause gegangen.
Wenigstens kannte ich jetzt den Grund, warum Tim nicht mehr dazu gekommen war, mir einen Antrag zu machen.
Halb Mensch halb Roboter
Morgen, zwei Uhr, ich warte vor dem Eingang.
Sie waren immer noch da. Ich konnte meinen Block hundertmal zu und wieder aufschlagen. Die Worte standen noch genauso da wie beim ersten Mal, als ich mitten in meinen Notizen über sie gestolpert war. Mein Notizblock war schließlich keine Zaubertafel. Was ich einmal dort notiert hatte, verschwand nicht einfach so wieder. Mit dem Unterschied, dass ich genau diese Notiz eben nicht dort notiert hatte. Es war nicht meine Schrift. Es war ganz klar auch nicht die Art von Notiz, die ich mir machen würde. Sie war von Tim, morgen war heute und zwei Uhr in zehn Minuten.
Als ich heute Morgen noch mal über
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