Seitenwechsel
den Umkleidekabinen zu stellen und stattdessen zu P&C ging. Und jetzt war es eben der Tag, an dem man von seinem Kind gezwungen wurde, einen Fahrradhelm zu tragen.
Nachdem ich kurz mit dem Gedanken gespielt hatte, Kai ohne Helm fahren zu lassen, schließlich hatten ich und Millionen andere Kinder es auch überlebt, fügte ich mich aufgrund der Kölner Unfallstatistik meiner Vorbildfunktion. Egal. So oft fuhr ich ohnehin nicht mehr Fahrrad.
Als Tim und ich mit dem unförmigen Geschenk im Kofferraum schließlich im Auto saßen, war es mit der Vorbildfunktion auch schon wieder vorbei. Wir spielten einmal mehr unser kurzes rhetorisches Frage-und-Antwort-Spiel.
»Wohin mit dem Geschenk?«
»Bei mir kennt Kai schon alle Verstecke.«
»Bei mir findet er es sofort.«
»Hm.« Schweigen. Vorgetäuschtes Überlegen. Dann der gleichzeitige unschuldige Blick.
»Wir könnten es bei Tina verstecken.«
»Gute Idee. Sie hat sowieso angeboten, bei ihr im Garten zu feiern.«
Na bitte, ging doch, zwei Ausreden auf einmal, was sollte man dagegen noch einwenden. Kurz darauf überschritten wir zum wiederholten Male in Tinas Dachgeschosszimmer eine weitere Grenze und erinnerten uns erst danach daran, dass wir Kais Fahrrad im Auto vergessen hatten.
Doppeldate
Als ich eine halbe Stunde später meinen Computer in der Redaktion hochfuhr, erwartete mich bereits eine Mail von Hannes im Posteingang.
Kannst du mich heute Abend zum Eishockey begleiten? Brauche jemanden, der mir die Regeln erklärt und mit mir in der Halbzeitpause in der Loge rummacht.
Ein schmutziges Lächeln breitete sich auf meinem Gesicht aus, bis mir klarwurde, dass man mich beobachten könnte, und ich Hannes’ Mail lieber hektisch mit einer Miene, die ich für professionell-nachdenklich hielt, löschte, bevor ich antwortete: Eine Regel vorweg, Herr Jost, es gibt keine Halbzeitpause beim Eishockey, sondern zwei.
Keine Minute später kam zurück: Umso besser, erwarte dich um 19 Uhr 30 unten in meinem Wagen.
Obwohl mir diese geheimen Verabredungen auf dem Redaktionsparkplatz bekannt vorkamen, hatte ich kein schlechtes Gewissen mehr. Ich war selbst überrascht, wie problemlos ich inzwischen morgens mit Hannes aus dem Haus gehen, mittags mit Tim ein kurzes Beischlafmeeting halten und nachmittags mit Hannes einen Kaffee beim Türken trinken konnte, ohne rot zu werden. Und dann wiederum war ich überrascht, dass mich mein Verhalten überraschte. Ich war eben keine Heilige. Noch nie gewesen. Und der Frühling regte auch nicht gerade zu keuscher Zurückhaltung an. Ich hatte eine gewisse Vergangenheit in Sachen Affären. Eine unrühmliche, aber leider nicht zu leugnende Vergangenheit. Und jetzt wusste ich, dass sich manche Dinge auch im Alter nicht auswuchsen. Bis ich mit Tim zusammenkam, war ich öfter fremdgegangen. Zu oft vielleicht, aber man hat seine Hormone nun mal nicht immer unter Kontrolle, dachte ich damals und erwartete im Gegenzug auch nicht, dass man mir treu blieb. Bis es tatsächlich passierte und ich auf der anderen Seite gelandet war. Bei der Sache mit Sarah war ich zum ersten Mal die Betrogene und es fühlte sich furchtbar an. Spätestens da hätte ich zu Kreuze kriechen, meine betrogenen Lebensabschnittsgefährten um Vergebung bitten und mir schwören müssen, niemals wieder einen fremden Mann auch nur aus den Mundwinkeln anzulechzen. Aber Tim war nun mal kein Fremder und ich keine Heilige. Tim wusste das. Hannes nicht. Tim nutzte diesen Wissensvorsprung redlich aus. Hannes gab sich noch ehrliche Mühe.
Als Hannes um kurz vor acht auf die A559 abbog, statt weiter geradeaus zu fahren, wusste ich, dass wir nicht wie vorgegeben zum Spiel der Kölner Haie in die Köln-Arena fuhren und alles, was mir dazu einfiel, war ein langgezogenes »Okaaaaay?!«
Hannes hatte sich also wieder eine Überraschung ausgedacht, und nichts in seinem Gesicht gab preis, was er dieses Mal vorhatte. Nach meinen bisherigen Erfahrungen wusste ich wenigstens, dass ich Heiratsantrag und Mordversuch ausschließen konnte, deswegen lehnte ich mich relativ entspannt auf dem Beifahrersitz zurück. Meine Entspannung wich ungläubigem Staunen, als er die Abfahrt zum Köln-Bonner Flughafen nahm. Na klasse, ein Kurztrip nach irgendwo, und alles, was ich dabei hatte, waren die Klamotten, die ich trug. Cargohose, Bluse mit einem nur schlecht ausgewaschenen Kaffeefleck von heute Nachmittag und Jeansjacke, die zu dieser Jahreszeit eigentlich zu kalt für jede Region außerhalb unserer Redaktion
Weitere Kostenlose Bücher