Seitenwechsel
Bett gezerrt, um mich an ihn zu kuscheln. Aber leider war ich dafür zu geschwächt. Ich ließ ihn noch eine Weile rubbeln, bis wirklich jeder Fleck an meinem Rücken trocken war. Dann löste ich mich mit einem kaum unterdrückten Seufzer aus seiner Umarmung und murmelte, dass ich den Rest alleine schaffte. Aber auch nur, weil ich mir selbst nicht über den Weg traute und befürchtete, dass ich sogar mit neununddreißig Grad Fieber und Dauerniesen über Tim herfallen könnte, wenn er mich jetzt noch irgendwo berührte.
Tim verschwand ebenfalls fluchtartig aus dem Badezimmer und erwartete mich ein paar Minuten später mit dampfender Hühnerbrühe und einer heißen Zitrone an meinem frisch bezogenen Bett. Er wartete, bis ich unter die Decke gekrochen war und stellte mir das Tablett auf die Knie.
»Ich muss jetzt los, Kai abholen. Gute Besserung.« Er beugte sich zu mir herunter und verharrte ein paar Sekunden etwas unschlüssig über meinem Gesicht, als wüsste er nicht, ob er mir jetzt einen Kuss geben sollte oder nicht. Aber dann entschied er sich für die freundschaftliche Variante, ein trockenes Küsschen auf die Stirn, und ging zur Treppe. Beim Runtergehen rief er mir noch zu: »Wenn es dir morgen nicht besser geht, gehst du zum Arzt.«
»Natürlich«, antwortete ich brav, aber mir ging es jetzt schon besser.
Ich hatte die Suppe ganz aufgegessen, ich hatte die heiße Zitrone bis zum letzten sauren Bodensatz getrunken, ich hatte keine Aspirin genommen, sondern war ohne Chemiekeule eingeschlafen. Ich schlief den ehrlichen Genesungsschlaf nach Hausmutternart und träumte von Sex mit Tim. Das heißt, im Grunde war mein Traum nur die konsequente Weiterentwicklung dessen, was normalerweise passiert wäre, wenn ich nicht mit Fieberkopf und Schniefnase so ein erbärmliches Bild abgegeben hätte. In meinem Traum landeten wir – welch eine Überraschung – gemeinsam in der Badewanne, ich fiel, Tim hielt mich fest, ich zog ihn halb, halb sank er hin. Und in der nächsten Einstellung hatte Tim sich auch schon auf wundersame Weise all seiner Klamotten entledigt, und ich strich gierig über seinen vom Wasser glänzend nassen muskulösen Rücken, während er an meinen Brustwarzen saugte. Gut, es war ganz offensichtlich nicht die realgetreue Version des Sexes, den wir hätten haben können, denn erstens schwappte dabei nicht ein Milliliter Wasser aus der Wanne, und zweitens hätte Tim nie im Leben so lange die Luft anhalten können. Aber eben dafür gab es schließlich Sexphantasien. Tim küsste sich an meinem Hals entlang Richtung Wasseroberfläche, fuhr durch meine unnatürlich trockenen Haare und flüsterte meinen Namen, während ich wohlige Grunzgeräusche von mir gab.
»Karina!«, rief er etwas lauter, und als mich eine dritte Hand etwas weniger zärtlich an der Schulter schüttelte, riss ich entsetzt die Augen auf.
»Hannes?!«, hauchte ich heiser. »Was machst du hier?«
»Ich wollte nur nach dir sehen«, erklärte er leise und lächelte mich dabei so undefinierbar an, dass ich nicht wusste, ob er meinen Traum erahnte, ohne natürlich die Besetzung der männlichen Hauptrolle zu kennen, oder ob es sich einfach nur um das klassische, leicht bemitleidende Aufmunterungslächeln bei einem Krankenbesuch handelte.
»Hast du schlecht geträumt? Hast du noch Fieber?«
Ich bejahte brav beide Fragen und hoffte, so aus dem Schneider zu sein. Wer konnte schon Grunzgeräusche so genau deuten?
Hannes räumte das Tablett weg, das immer noch auf meinem Bauch stand und vermutlich als Stand-In für Tim fungiert hatte.
»Hattest du Besuch?«
»Was? Ach so ja, ähm, nee, ich meine, nur meine Mutter. Sie hat mich mit dem alten Familienrezept gegen Grippe gefoltert.«
Ich lächelte ihn unschuldig an. Wenn er sich jetzt an die Weihnachtskochkünste meiner Mutter erinnerte, dann müsste ihm sofort klarwerden, dass unser Familienrezept gegen Grippe aus einem möglichst bunten Medikamentencocktail bestand.
Aber Hannes akzeptierte meine Erklärung ohne Probleme. »Gott sei Dank, ich hatte schon ein schlechtes Gewissen, dich hier so lange alleine zu lassen.«
Und schon hatte ich mit Bravour die Schwelle vom passiven zum aktiven Betrügen passiert, die dünne Linie, die Schwäche von Betrug trennte. Meine erste echte Lüge gegenüber Hannes. So einfach war das. Ich hätte ihm von Tim erzählen können, der Badewanne, dem Traum, aber nein, ich wählte den Klassiker. Meine Mutter. Ab jetzt saß ich endgültig mit Tim in einem Boot. Tim
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