SEK – ein Insiderbericht
geistigen Augen erscheint schon die Schlagzeile in der morgigen Ausgabe aller Zeitungen: »Nach Familienstreit: Ehemann verblutet unter den Augen des SEK …«
»Das ist natürlich ein Argument«, sagt Jack dann weiter, »und so schlecht ja nun auch wieder nicht, dann geht die Sache hier nicht endlos weiter, und wir sind früher wieder weg.«
Wir begeben uns zunächst zu unserem Einsatzfahrzeug, um unsere Ausrüstung und Waffen aufzunehmen. Im Gegensatz zu der möglicherweise vorherrschenden Annahme – Hollywood sei’s gedankt –, dass ein SEK-Einsatz von einer mit Bildschirmen und Technik vollgestopften mobilen Befehlszentrale aus geführt würde, ist der SEK-Führer immer Teil des Einsatzteams, das in ein Zielobjekt eindringt. Nur dort hat er die Möglichkeit, wenn zum Beispiel ein geplanter Zugriff aus dem Ruder zu laufen droht, unmittelbar darauf zu reagieren. Darüber hinaus ist mit einer »Männer macht mal und ich bleib in Deckung«-Mentalität bei SEK-Beamten sowieso kein Staat zu machen.
Als Jack und ich nunmehr voll ausgerüstet und bewaffnet bei unseren in der Nähe des Hauseingangs postierten Kollegen eintreffen, macht er sich daran, uns allen seinen Plan zu erläutern.
»Ok, Leute«, beginnt er dann, als wir alle – bis auf Franz, der ja als Präzisionsschütze weiterhin auf dem Dach des Nachbarbungalows liegt – zusammen sind. »Der PF wünscht, dass wir so schnell wie möglich in die Hütte einfliegen, weil er Angst hat, dass unser schießwütiger Jägersmann vielleicht an seiner Schussverletzung stirbt, während wir hier draußen rumstehen …«
Die Kollegen quittieren die wiederum für Jack typische Lageschilderung mit einem zustimmenden Gemurmel, vermutlich auch deshalb, weil alle davon ausgehen, dass der Einsatz in Kürze beendet sein wird.
»Wir haben bisher keine Erkenntnisse darüber, was mit dem Mann los ist«, ergänzt Jack weiter, »ans Telefon geht er nicht, und Bewegungen im Haus sind keine auszumachen. Wir brechen die Haustüre mit der Ramme auf und arbeiten uns dann langsam Raum für Raum vor und suchen nach dem Typen, sofern er sich nicht zu erkennen gibt. Denkt dran, Jungs, der Mann ist eigentlich kein Krimineller, wahrscheinlich nur ein bisschen durchgedreht. Wenn’s nicht unbedingt nötig ist, wäre es schön, wenn wir nicht auf ihn schießen müssten.«
In seiner gewohnt lässigen Art spricht Jack an, was sowieso allen mehr oder weniger geläufig ist. Bei Familientragödien sind die Täter in aller Regel ganz normale Leute, die, warum auch immer, komplett ausrasten. Gerade wegen deren irrationalen, kaum vorhersehbaren Verhaltensweisen aber sind solche eskalierenden Streitigkeiten für uns Einsatzanlässe mit hohem Konfliktpotenzial.
Jack schaut zu einem blonden, groß gewachsenen Kollegen und sagt: »Marry, du nimmst die Ramme und machst die Tür auf.« Für das gewaltsame Öffnen von Türen stehen SEK-Beamten mehrere Optionen zur Verfügung. Die am wenigsten aufwendige und für hinter der Tür befindliche Personen am wenigsten gefährliche Variante wird bereits seit dem Mittelalter praktiziert, nämlich die Verwendung eines Rammbocks. Unser Rammbock ist eine etwa zwanzig Kilogramm schwere Eisenkonstruktion mit zwei Griffleisten an jeder Seite, sodass sie im Bedarfsfall auch von zwei Personen bedient werden kann. Am vorderen Ende verbreitert sich der zylindrische Metallkörper ähnlich einem Puffer bei der Eisenbahn. Damit wird dann im unmittelbaren Schlossbereich gegen die Tür geschlagen. Bei einer nicht so stabilen Tür bricht meist der gesamte Schlosskasten sofort aus dem Türblatt heraus. Handelt es sich aber um eine massive Tür, wie sie wegen der angestrebten Einbruchssicherheit zunehmend Verwendung findet, dann kann es passieren, dass sie sich erst nach mehreren Schlägen mit der Ramme öffnet. Je länger das dauert, umso gefährlicher wird es aber für die dort eingesetzten SEK-Kräfte, da die Arbeit selbstverständlich nicht lautlos ist und ein potenzieller Täter hinter der Tür seine Waffe ziehen und auf die davorstehenden Beamten zielen kann.
Daher kommen neben der Ramme auch andere Methoden wie etwa der gezielte Einsatz von Sprengstoff zum Einsatz, die die Chance eines schlagartigen Öffnens der Tür deutlich besser gewährleisten, aber auch größere Schäden verursachen und möglicherweise die Personen im Inneren, zum Beispiel durch umherfliegende Splitter, mehr gefährden. Diese Methoden werden natürlich insbesondere bei Geisellagen angewendet,
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