SEK – ein Insiderbericht
gestartet, um zu retten, was noch zu retten ist, und ist alles andere als eine Traumlösung.
Des Weiteren dirigiere ich Franz, einen Kollegen aus meiner Gruppe, der ebenfalls zusammen mit mir heute Dienst in Jacks Einsatzgruppe tut, auf das Dach des Nachbarbungalows, der an die Gartenseite des Zielgebäudes grenzt. Franz ist Präzisionsschütze und wie alle Schützen unserer Einheit mit einem HK PSG1 ausgerüstet. Als ich ihm das Gebäude zeige, sage ich zu ihm: »Franz, ich möchte, dass du auf das Dach steigst und von dort die Gartenseite mit deinem Gewehr kontrollierst.«
Da dessen übrige Fenster mit schmiedeeisernen Gittern versehen sind, hat die Zielperson, wenn sie es denn wollte, nur die Möglichkeit, das Haus entweder durch die Terrassentür in den Garten oder aber durch die vordere Haustür zur Straße zu verlassen. Das Letzte aber, was wir wollen, ist ein vielleicht nicht zurechnungsfähiger Täter, der mit einer Schusswaffe in aller Öffentlichkeit umherspaziert.
Bevor Franz auf das Dach zu klettern beginnt, fragt er: »Was soll ich machen, wenn er rauskommt?«
Dies ist natürlich die Gretchenfrage – so einfach, so kompliziert. Natürlich ist ein Schußwaffeneinsatz gegen eine Zielperson immer das allerletzte Mittel zur Durchsetzung polizeilicher Maßnahmen oder schlicht zur Rettung anderer bedrohter Menschenleben. Im konkreten Fall ist aber zunächst einmal kein anderer bedroht, da der bewaffnete Mann ja offensichtlich allein in seinem Bungalow weilt. Wenn er allerdings mit seinem Gewehr Haus und Grundstück verließe, würde er sehr wohl eine Gefahr für Unbeteiligte und natürlich auch für die am Einsatz beteiligten Polizeikräfte darstellen.
Ich beantworte Franz’ Frage also wie folgt: »Wenn der Typ rauskommt und hat ein Gewehr in der Hand, dann sprichst du ihn an und veranlasst ihn, das Gewehr sofort fallen zu lassen. Tut er das nicht oder fühlst du dich bedroht, dann schieß! Du musst auf jeden Fall verhindern, dass er das Grundstück mit seinem Gewehr verlässt. Reagiert er auf deine Ansprache nicht, dann schieß ebenfalls – und schieß, falls es dir möglich ist und du dich nicht konkret bedroht siehst, zuerst in die Beine.«
Mit diesen sehr konkreten Vorgaben versuche ich Franz bei seinem schwierigen Einsatzauftrag größtmögliche Handlungsfreiheit zu überlassen. Er weiß natürlich genauso gut wie ich, dass jeder Treffer aus unserem PSG1 mit seiner brisanten Munition und den daraus resultierenden schweren Verletzungen zum Tode des Betroffenen führen kann, auch wenn man »nur« auf die Beine zielt. Durch meine Anordnung, auf die sich Franz gegebenenfalls berufen kann, geht die rechtliche Verantwortung für einen eventuellen Schusswaffengebrauch von ihm auf mich über.
Franz quittiert meine Anordnung mit einem knappen »Alles klar!« und beginnt unverzüglich, seine Stellung auf dem Flachdach des Nachbarbungalows einzunehmen. Zehn Minuten später meldet er über Funk Vollzug. Er kann nun die gesamte Gartenseite des Zielobjekts einsehen und kontrollieren. Bislang sind keine Bewegungen festzustellen, weder im noch am Haus.
Als Jack von seinem Gespräch mit dem Polizeiführer zurückkommt, signalisiert er mir, dass dieser uns alle notwendigen Freigaben erteilt hat, je nachdem, wie wir die aktuelle Lage einschätzen. Dies ist ein großer Vorteil für uns, da wir uns nun auf die eigentliche Lagelösung konzentrieren können und nicht auch noch unseren PF von der Notwendigkeit unserer geplanten Maßnahmen überzeugen müssen. Ein Umstand, der im Laufe meiner langen Dienstzeit beim SEK nicht immer so problemlos verlaufen sollte …
Mittlerweile ist auch eine Verhandlungsgruppe alarmiert worden und ebenfalls auf dem Weg zum Einsatzort. In dieser Situation sicherlich eine gute Option, da derzeit niemand durch den potenziellen Tatverdächtigen unmittelbar gefährdet zu sein scheint.
Jack wendet sich mir zu und sagt: »Der PF will, dass wir so schnell wie möglich in das Zielobjekt eindringen …«
Ich bin etwas überrascht, da Polizeiführer in aller Regel nicht dazu neigen, ein schnelles »Stürmen« des Zielobjektes zu favorisieren. Aber Jack fügt hinzu: »Der PF hat die Befürchtung, dass unsere Zielperson eventuell durch die Schüsse der Ehefrau schwer verletzt sein könnte. Wenn das stimmt, besteht die Gefahr, dass er im Haus verstirbt, während wir draußen davor stehen und einfach warten …«
Er beendet den letzten Satz nicht, und das muss er auch nicht, denn vor unseren
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