SEK – ein Insiderbericht
wir durch das dunkle Treppenhaus und versuchen dabei, jegliches Geräusch zu vermeiden. Dies klingt sehr viel einfacher, als es tatsächlich ist. Jeder Beamte schleppt eine Vielzahl von Ausrüstungsgegenständen und natürlich seine Bewaffnung mit sich herum, der Türöffner hat zudem die etwa 20 Kilogramm schwere, aus Eisen bestehende Ramme geschultert, und jedermann ist bemüht, nur ja nicht irgendwo anzustoßen, um keinesfalls jetzt noch, im unmittelbaren Nahbereich der Zielwohnung, ein verräterisches Geräusch zu machen, das den ganzen Zugriff gefährden könnte.
Doch es geht alles gut.
Ich stoppe vor dem Treppenabsatz der ersten Etage, die Tür zur Zielwohnung liegt unmittelbar vor mir, auf der linken Seite. Ich trete ein wenig nach rechts, in Richtung des Treppengeländers, damit meine nachfolgenden Kollegen freie Bahn haben, und sehe, wie sie sich langsam wieder zu einer engen Reihe formieren. Theo, der nun ganz vorne steht, hat die Ramme bereits von seiner Schulter genommen und blickt in meine Richtung. Wieder geht ein Squeeze durch die Reihe, und da Theo die Ramme mit beiden Händen festhalten muss, nickt er mir kurz zu, als das Zeichen ihn erreicht. Jetzt gibt es kein Zurück mehr.
Nun wird auch kein Rotlicht mehr benutzt, denn auf Tarnung kommt es jetzt nicht mehr an. Ich leuchte mit der an meiner Maschinenpistole angebrachten Surefire-Taschenlampe den Türbereich an, den Theo mit der Ramme bearbeiten soll. Das Aufleuchten meiner Lampe ist für ihn und alle anderen das Zeichen zum Zugriff. Theo macht einen Schritt nach vorn und steht dann direkt vor der Wohnungstür. Diese Position ist extrem exponiert und ungeschützt.
Es hat immer wieder Tatverdächtige gegeben, die Schüsse durch eine geschlossene Tür abgegeben und dabei insbesondere die mit der Türöffnung beauftragten SEK-Kollegen stark gefährdet haben. Besonders durch die Medien gegangen ist in diesem Zusammenhang später der Fall eines SEK-Kollegen aus Rheinland-Pfalz, der im März 2010 beim Versuch der Festnahme eines Mitglieds der Rockergruppe Hells Angels von diesem durch die geschlossene Haustür angeschossen und tödlich verletzt wurde. Der Fall sorgte für großes Aufsehen, weil der Bundesgerichtshof den Täter letztinstanzlich von dem Vorwurf des Totschlags freisprach, da er ihm den Umstand der »Putativnotwehr« zubilligte. Der Rocker gab vor Gericht an, dass er einen Überfall der mit den Hells Angels verfeindeten Bandidos erwartet hatte, und da er die an der Tür arbeitenden Kollegen nicht als Polizeibeamte erkannt hätte, wäre er von einem solchen Überfall ausgegangen und hätte deshalb geschossen. Eine Tötungsabsicht verneinte der Rocker kategorisch. Und wenn er gewusst hätte, dass es sich um Polizisten handelte, hätte er selbstverständlich überhaupt nicht zur Waffe gegriffen.
Ohne im Geringsten Urteilsschelte betreiben zu wollen: Vor diesem Fall hätte sich keiner meiner Kollegen vorstellen können, dass es in Deutschland straffrei bleiben kann, auf einen bloßen Verdacht hin mehrfach mit einer großkalibrigen Waffe durch eine geschlossene Tür zu schießen, ohne zu wissen, wer dahinter steht, und dabei, mehr noch, einen Polizeibeamten zu töten.
Ich sympathisiere grundsätzlich nicht mit den vielen Stammtischpolitikern, die je nach Lage der Dinge über unser Rechtssystem herziehen und das mit dumpfbackigen, tendenziösen Parolen begründen. Ich bin aber durchaus der Auffassung, dass ein Rechtssystem, in dessen Rahmen ein solches Urteil gesprochen wird, Zweifel aufkommen lässt.
Gleiches gilt nach meiner Auffassung beispielsweise auch im Falle des Kindermörders Magnus Gäfgen, der für die rechtswidrige Gewaltandrohung, die der damalige Frankfurter Polizeivizepräsident Wolfgang Daschner angeordnet hatte, um ihn zur Aussage über den Verbleib des von ihm im September 2002 entführten und ermordeten Jakob von Metzler zu zwingen, 3000 Euro Schadenersatz zugesprochen bekam. In solchen Fällen scheint mir, speziell wenn es um den Wiedergutmachungs- und Sühnegedanken geht, das hiesige Strafrecht durchaus reformbedürftig zu sein. Auch eine in meinen Augen dringend erforderliche, viel stärkere Fokussierung auf den Schutz der Interessen der Opfer unter gleichzeitiger Herabstufung der Interessen der Täter halte ich in diesem Zusammenhang für dringend geboten.
Ende der Abschweifung.
Theo schwingt die Ramme in weitem Bogen nach hinten und schlägt mit ihrem eisernen Kopf direkt über dem Türschloss auf das Türblatt.
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