SEK – ein Insiderbericht
erneut am Apparat: »Ich habe noch einmal gründlich über unser Gespräch nachgedacht und bin zu der Überzeugung gekommen, dass Sie mit Ihrer Lageeinschätzung recht haben. Ich erteile Ihnen hiermit die Freigabe zum Eindringen in die Zielwohnung, so wie wir es besprochen haben. Ich wünsche Ihnen und Ihren Kollegen viel Glück und gutes Gelingen.«
»Vielen Dank, Herr Schnitzler. Wir werden noch etwa zehn Minuten brauchen, um die letzten Vorbereitungen zu treffen, dann starten wir. Ich melde mich, sobald wir in der Wohnung sind.«
Acht dunkle Schatten stehen in einer Reihe neben der Hauseingangstür des Zielobjekts. Kurz zuvor habe ich meine Kollegen in einer letzten Einsatzbesprechung eingewiesen und die Reihenfolge festgelegt, in der wir in die Zielwohnung eindringen werden. Eine Besonderheit unserer Taktik beim Sturm auf Gebäude ist, dass wir darauf verzichten, im Vorfeld genau festzulegen, welches Teammitglied sich wohin zu orientieren hat. Die Praxis aus unzähligen Einsätzen dieser Art hat uns gezeigt, dass es in den meisten Fällen ganz anders kommt, als es die Ablaufplanung vorsieht. Häufig genug liegen ja auch gar keine genauen Pläne der zu stürmenden Gebäudeteile vor. Bei unserem System passen sich die in ein Gebäudeteil eindringenden Beamten den Gegebenheiten im Inneren flexibel an. Es kommt daher überhaupt nicht darauf an, wie das Zielobjekt aussieht und wie es geschnitten ist. Da immer zwei Beamte gemeinsam arbeiten und ein Team bilden, wird vor Beginn des Zugriffs lediglich eingeteilt, in welcher Reihenfolge das Eindringen erfolgen wird. Weiterhin ist festzulegen, welcher Angehörige des Teams als »Türöffner« fungieren wird. In aller Regel wird hierfür ein einsatzerfahrener Kollege ausgewählt, der weiß, worauf es beim gewaltsamen Öffnen einer Tür ankommt.
Am heutigen Tage haben wir es allerdings mit der besonderen Situation zu tun, dass zwei Türen zu überwinden sind. Zunächst ist es Max, der versuchen wird, mittels eines dünnen Brecheisens die Haustür möglichst leise zu öffnen. Max wird, nachdem ihm das hoffentlich gelungen ist, alle Kollegen an sich vorbeigehen lassen und sich als letzter Mann der Gruppe wieder anschließen, sodass er für den Zugriff in der Wohnung im ersten Stock wieder zur Verfügung steht. Direkt dahinter steht Theo, ein kräftiger Mann, der die Ramme trägt, mit der wir die Wohnungstür in der ersten Etage öffnen wollen. Dann kommt Michael, ein etwas kleinerer, drahtiger, gewandter, dunkelhaariger und recht schweigsamer Zeitgenosse, der selbst für SEK-Verhältnisse über ausgezeichnete Schießfertigkeiten verfügt. Zusammen mit seinem Hintermann Siggi, der mit seinem blonden Schopf und seiner typischen Ruhrpottschnauze das genaue Gegenteil zu ihm bildet, wird Michael als Erster in die Zielwohnung eindringen.
Die übrigen Kollegen werden folgen und sich im Inneren der Wohnung so verteilen, wie es notwendig wird. Aufgrund der Aussage der Wohnungsinhaberin, dass sich die Zielperson in ihrem Wohnzimmer aufgehalten hat und dort auch schlafen wollte, habe ich für das erste Team, also Michael und Siggi, eine Ausnahme von der Regel gemacht und ihnen das Wohnzimmer als festes Ziel zugewiesen. Mir geht es einfach darum, den wahrscheinlichsten Aufenthaltsort des Täters so schnell wie möglich unter Kontrolle zu bringen.
Ich stehe etwas außerhalb der Reihe meiner Kollegen und blicke nach hinten, zum Ende der Gruppe. Der letzte Mann beginnt seinem Vordermann durch einen Squeeze seine Einsatzbereitschaft zu signalisieren, das Zeichen wird jeweils nach vorne weitergegeben, und schließlich hebt Max, als erster Mann in der Reihe, seinen Daumen in meine Richtung. Alle sind einsatzklar.
Ich gebe Max mit der Hand ein Zeichen, und er tritt an die Haustür heran, während ich ihm mit meiner Rotlichtlampe die Stelle beleuchte, an der er das Brecheisen ansetzen will. Der Hausflur hinter der Tür ist dunkel, und niemand ist zu sehen.
Behutsam setzt Max das Brecheisen an, und ganz vorsichtig beginnt er, den Druck auf den Schlossbereich zu erhöhen. Ich höre ein leichtes Knacken protestierenden Aluminiums, dann ein etwas lauterer Knack – die Tür ist auf. Perfekt! Obwohl Max wie alle Kollegen eine Sturmhaube unter seinem TIG-Helm trägt, glaube ich sein Grinsen zu sehen, als er die Haustür ganz öffnet, diese dann aufhält und so zur Seite tritt, dass wir problemlos den Hausflur betreten können.
Ich gehe voran. So langsam und so behutsam wie möglich schleichen
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