SEK – ein Insiderbericht
selbst bei der Leitstelle über Notruf angerufen und erklärt, dass er seine gesamte Familie erschossen hätte, bis auf seine sechsjährige Tochter. Wie viele Personen betroffen sind, weiß ich noch nicht. Er hat auch angekündigt, seine Tochter und sich selbst zu erschießen, sollte sich Polizei dem Haus nähern. Der Einsatz wird von den Kollegen aus K. geführt, die sind auch bereits auf dem Weg. Da die Kollegen von dort dem Tatort am nächsten sind, wird der Einsatz auch durch sie geführt, Routine also, was dies angeht. Wenn ich weitere Infos bekomme, melde ich mich über Handy. Hier ist die Adresse des Tatorts.«
Hagen reicht mir einen Zettel über den Tisch.
»Alles klar«, sage ich, und da es nichts weiter zu besprechen gibt und alles darauf hindeutet, dass die Lage heikel und dringlich ist, drehe ich mich sofort wieder um und laufe in den Umkleideraum, um meine Einsatzklamotten zu holen. Als ich schwer bepackt im Hof ankomme, haben die Kollegen die Fahrzeuge bereits aus der Garage geholt, und die letzten kommen gerade aus der Waffenkammer und verstauen ihre Waffen. Lothar hat sich auch bereits um meine Maschinenpistole gekümmert. Wie so häufig werden wir beide gemeinsam in dem sogenannten Führungsfahrzeug fahren. Für mich als Führer des Einsatzes ist es wichtig, einen erfahrenen Kollegen mit im Fahrzeug zu haben, der ein Ohr auf die eingehenden Funksprüche hat und auch selbstständig Telefonate führen und Entscheidungen treffen kann, sollte dies im Zuge einer hektischen Lageentwicklung notwendig werden. Lothar und ich sind ein eingespieltes Team, wo nicht viele Worte notwendig sind.
»Wir sind abmarschbereit«, sagt er zu mir, als ich meine schwere Einsatztasche im Kofferraum der Audi-Limousine unterbringe. Meine Kollegen stehen bereits an den Fahrzeugen, und zwar die gesamte »Streitmacht«, die heute Morgen zum Frühdienst erschienen ist, das bedeutet in diesem Fall insgesamt 14 SEK-Beamte. Sie erwarten eigentlich, dass ich sie noch einmal kurz zusammenrufe, um ihnen eine kurze Lageeinweisung zu geben. Doch dazu ist aufgrund der dringlichen Lageentwicklung keine Zeit. Wir müssen sofort los!
Ich rufe nur laut über den Hof: »Wir rücken sofort ab. Ich komme mit den Lagedetails über Funk. Abmarsch …!«
Ich springe auf den Beifahrersitz des Audi, Lothar, der bereits hinter dem Steuer sitzt, betätigt das per Magnet auf dem Dach der zivilen Limousine angebrachte Blaulicht und fährt los. Die anderen Wagen folgen dicht auf, und als wir die Toreinfahrt zu unserer Dienststelle passieren, schalten alle Fahrer das eingebaute Martinshorn ein. Unter ohrenbetäubendem Lärm fahren wir in schneller Fahrt der Autobahn entgegen. Lothar hat alles zusammengetrommelt, was sich auf der Dienststelle befunden hat. Wir sind also fast doppelt so viele SEK-Beamte wie einer dienstbereiten Einsatzgruppe eigentlich angehören. Aber bei so einer prekären Lage wie der, der wir jetzt entgegenfahren, will niemand ohne zwingenden Grund auf der Dienststelle rumhocken.
Über Funk informiere ich die Kollegen in den anderen Fahrzeugen über die paar wenigen Einzelheiten, die mir Hagen mitgeteilt hat, und versuche anschließend, über Handy Tony zu erreichen. Das ist der Leiter der Spezialeinheiten aus K., der jetzt den gesamten Einsatz aller Einheiten leiten wird. Tony ist mir sehr gut bekannt, da er bis vor kurzem der Chef unserer Dienststelle gewesen ist – ein menschlich sehr angenehmer Vorgesetzter. Als Tony nach K. versetzt wurde, haben wir alle seinen Weggang aufrichtig bedauert. Tony hat zwar, wie fast alle seine Amtskollegen, ursprünglich keine SEK-Ausbildung durchlaufen, hat sich aber durch viel Interesse an unserer Arbeit und seine menschlich sehr angenehme Art den Respekt aller SEK-Kollegen erworben. Ich persönlich habe mit ihm bereits ein paar sehr heikle Einsätze hinter mich gebracht und kann nur das Beste über ihn berichten. Tony ist einer von uns!
Ich versuche es immer wieder, aber Tonys Handyanschluss ist ständig besetzt; die Gründe dafür kann ich mir lebhaft vorstellen. Wir fahren mit höchstmöglicher Geschwindigkeit über die durch den morgendlichen Berufsverkehr stark frequentierte Autobahn, und da wir ja noch etwa eine halbe Stunde Fahrzeit vor uns haben, stelle ich vorerst meine Versuche ein. Stattdessen verfalle ich ins Grübeln über das, was uns bevorsteht. Die Situation scheint so zu sein, dass wir eigentlich nur verlieren können. Da der Täter selbst gegenüber der Polizei angegeben
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