SEK – ein Insiderbericht
nächsten an der Speicherluke steht, schüttelt auf meine fragende Geste nur seinen Kopf. Der Tatverdächtige hat zu dem Lärm der eingeschlagenen Fensterscheibe nichts gesagt. Auf dem Dachboden bleibt es ruhig.
Ich höre Dieters Stimme über Funk: »Wir sind drin, bei der Person auf dem Bett handelt es sich tatsächlich um den Jungen. Mehrere Schussverletzungen, wahrscheinlich ex, wir evakuieren ihn nach draußen in den Garten, benötigen Notarzt.«
Der Sprecher der Befehlsstelle reagiert sofort und antwortet: »Verstanden, Notarzt ist unterwegs.«
Verdammt, denke ich kurz, dieser Typ hat hier ein ausgewachsenes Massaker angerichtet und hockt nun seelenruhig auf dem Dachboden … Doch ich weiß, dass mich solche Gedanken nicht weiterbringen, und so konzentriere ich mich sofort wieder auf unser weiteres Vorgehen.
Da wir jetzt das Erdgeschoss des Hauses komplett unter unserer Kontrolle haben, können wir uns nunmehr ausschließlich um die Person auf dem Dachboden kümmern, was nach Lage der Dinge eine ausgesprochen heikle Angelegenheit zu werden verspricht. Die kleine Ausziehtreppe, die nach oben führt, ist so schmal, dass dort nur einer von uns Platz findet. Das Problem hierbei ist, dass der Kollege, der als Erster die Leiter hochklettert, nur eine Richtung, nämlich seine Blickrichtung, abdecken kann. Falls sich unser Täter genau auf der anderen Seite der Luke aufhält – also dort, wohin der Kollege beim Hochklettern gerade nicht blickt –, kann er ihn mühelos und ohne Möglichkeit einer Gegenwehr von der Leiter schießen. Um uns dagegen zu wappnen, arbeiten wir im Normalfall grundsätzlich zu zweit, sodass immer ein Kollege die Richtung abdeckt, die der andere aufgrund seines Blickwinkels nicht beobachten kann. Aber das ist jetzt kein Normalfall, diese gegenseitige Deckung ist hier aufgrund der schmalen Treppe nicht möglich. Selbst wenn der zweite Kollege seinem Vordermann so dicht wie möglich folgt, kommt es, nachdem der erste Mann seinen Kopf durch die Dachbodenluke gesteckt hat, zu einem Zeitverzug, bis dieser zweite Kollege sich so weit hochgearbeitet hat, dass er den Rücken seines Vordermannes decken kann.
Und dieser Zeitverzug kann tödlich sein. Eine bescheidene Situation.
Zunächst möchte ich daher die Lage auf dem Dachboden so gut wie möglich erkunden, bevor auch nur einer den gefährlichen Aufstieg wagt. Leider verfügen wir, trotz bereits mehrfach gestellter Anträge unsererseits, bis dato nicht über eine mit einem beweglichen Kopf ausgestattete Kamera. Eine solche an einer Teleskopstange befestigte Kamera gestattet es, gefährliche Räumlichkeiten zu untersuchen, ohne dass der Bediener seine Deckung verlassen muss. Mit ihrem ferngesteuerten, schwenkbaren Kopf kann sie einen Bereich von über 180° abdecken und ist zudem mit Infrarotlicht ausgestattet. So lassen sich auch dunkle Bereiche für den Bediener halbwegs deutlich ausleuchten, ohne dass ein potenzieller Täter davon etwas mitbekommt, weil das infrarote Licht für die Augen ja unsichtbar ist. Leider ist so eine Kamera aus US-amerikanischer Produktion sehr kostspielig, und aus diesem Grund und weil man andere Dinge für wichtiger hielt, wurde eine Beschaffung eines solchen Gerätes bisher abgelehnt. Ich spüre, wie ich aufgrund dieser Tatsache in helle Wut gerate, denn aufgrund dieser »Kostenersparnis« muss gleich einer meiner Kollegen ein extrem hohes Risiko eingehen. 17 Zu den von mir mitgeführten Einsatzutensilien gehört bereits seit Jahr und Tag ein kleiner Taschenspiegel, den ich an einer im ausgezogenen Zustand etwa 70 cm langen Teleskopstange befestigen kann. Dieser Spiegel wird jetzt unser Kameraersatz sein müssen.
Während ich den Spiegel aus den Taschen meiner Schutzweste hervorkrame, kommen Lothar und Dieter wieder durch die Terrassentür ins Innere des Wohnhauses. Lothar macht mit seiner Hand ein eindeutiges Zeichen und schüttelt mit dem Kopf. Der Junge, den sie gefunden haben, ist ebenfalls definitiv tot.
Ich signalisiere Kuno an der Schlafzimmertür per Handzeichen, dass ich mich jetzt unter die Dachbodenluke begeben werde, um zu versuchen, mit dem Spiegel etwas erkennen zu können. Er soll mein Vorhaben mit seiner Maschinenpistole absichern, denn es ist ja nicht ausgeschlossen, dass der Täter unmittelbar an der Luke hockt und unvermittelt in unsere Richtung das Feuer eröffnet.
Kuno hat verstanden und bewegt sich aus seiner Tür ein wenig so nach vorn, dass er die gesamte Luke von unten im Blick hat.
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