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SEK – ein Insiderbericht

SEK – ein Insiderbericht

Titel: SEK – ein Insiderbericht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Schulz
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wenn es zu einer solchen Lösung als Ultima Ratio kommt, eine oder mehrere Geiseln mit dem Tode. Natürlich erfolgt die Abgabe eines solchen Schusses nach Maßgabe der vorhandenen Gesetze und ist gemäß unserer Rechtsordnung ein rechtmäßiger Vorgang zur Rettung von Menschenleben in höchster Gefahr. Aber bei der eigenen, persönlichen Betrachtung eines solchen Geschehens spielen rechtliche Aspekte, und seien sie noch so eindeutig, zunächst einmal nicht die entscheidende Rolle. Mitentscheidend für die Verarbeitung solcher Umstände ist die eigene moralische Verantwortung, die man einem solchen Geschehensablauf gegenüber an den Tag legt.
    Als SEK-Beamter kann man jederzeit in die Situation geraten, dass man einen Menschen mit Methoden und Vorgehensweisen töten muss, die in einer losgelösten Betrachtungsweise sehr wohl als heimtückisch, mithin also als extrem verwerflich anzusehen wären. Das kann etwa bedeuten, dem Täter keine Chance zu lassen, die eigenen Absichten bis zum Schluss wirkungsvoll zu verschleiern, um ihn dann beispielsweise aus dem Hinterhalt zu erschießen. Es ist also manchmal geboten, zur Lösung bestimmter Einsatzlagen Mittel anzuwenden, die – ohne Berücksichtigung der Begleitumstände – eher der unmoralischen »dunklen« Seite zuzuordnen wären, obwohl man ja als offizieller Vertreter der Staatsgewalt der moralischen, »gesetzestreuen« Seite angehört.
    Dieser Widerspruch lässt sich aus meiner persönlichen Sicht nur auflösen, wenn man für sich selbst eindeutige moralische Prinzipien festgelegt hat, nach denen man seinen Dienst verrichtet und die einem dann auch die Möglichkeit geben, scheinbar »unmoralische Dinge« zu tun, um den »guten Zweck« zu erreichen. Ohne diese moralische »Barriere« allerdings wäre ein Unterschied zu professionellen »Killern« nur schwer auszumachen.
    Jeder von uns muss die Frage nach seiner persönlichen Moral in irgendeiner Weise beantworten können, spätestens dann, wenn er den Tod eines Menschen zu verantworten hat. Der alleinige Rückgriff auf die gesetzlich vorhandene Befugnis, einen Menschen, falls nötig, auch final zu bekämpfen, d.h. zu töten, war mir persönlich, vor allem in meiner Rolle als Einsatzführer einer SEK-Einheit, nie ausreichend genug. Die Erfahrungen aus der jüngeren deutschen Vergangenheit, die mich schon sehr früh interessierte, sind dafür ein mitentscheidender Grund. Vergessen wir nicht: Auch die SS-Angehörigen, die unschuldige Menschen töteten, konnten sich auf staatliche Anordnungen berufen und taten dies dann noch nach dem Krieg vor Gericht, als sie sich auf einen in ihren Augen vorhandenen »Befehlsnotstand« beriefen. Der entscheidende Punkt in diesem Fall ist jedoch aus meiner Sicht, dass hier angesichts der quasigesetzlich erteilten Vollmachten die eigene moralische Bremse – das Wissen darum, etwas Falsches zu tun und dies nicht mitzutragen, »Verantwortung« zu zeigen – nicht funktionierte. Ich meinerseits habe die Ausführung von Anordnungen, von deren Sinn und Zweck oder von deren moralischer Durchführbarkeit ich nicht überzeugt war, immer abgelehnt, was im Einzelfall durchaus zu sehr unschönen Diskussionen mit meinen Vorgesetzten führen konnte. Erstaunlicherweise hat dies meiner »Karriere« aber trotzdem nicht geschadet.
    Die Gewissensfrage spitzt sich zu, wenn ein polizeilicher Schütze eine Einsatzlage nicht auf Anordnung eines Vorgesetzten, sondern in eigener Entscheidung durch einen finalen Rettungsschuss beendet. So eine Entscheidung fällt dann ja nicht nach reiflicher Überlegung, sie ist vielmehr eine Sache von Sekunden. Der betreffende Beamte drückt aber in dem vollen Wissen ab, dass im Nachhinein eine ganze Armada von Experten aufgeboten werden wird, die seine Sekundenentscheidung in monatelanger Kleinarbeit aufarbeiten und ihm, meist mit erhobenem Zeigefinger, seine Fehler und Handlungsalternativen aufzeigen. Was droht, sind strafrechtliche Konsequenzen. Der Schütze kann als Angeklagter vor Gericht landen – mit unabsehbaren Folgen für Karriere, Familie und persönliches Umfeld, sofern ihm seine Augenblicksentscheidung als Fehlverhalten nachgewiesen wird.
    Ein gutes Beispiel für diese Problematik stellt der Luftangriff bei Kunduz dar, der im September 2009 etwa 140 Menschenleben kostete. Der Bundeswehroberst Klein fällte die Entscheidung, zwei von Aufständischen gekaperte Tanklastzüge in der Nähe des deutschen Feldlagers in Afghanistan bombardieren zu lassen, um zu

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