Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Sekunde der Wahrheit

Titel: Sekunde der Wahrheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hayes Joseph
Vom Netzwerk:
ihn zu interessieren. »Das ist so üblich, weil man dann am schnellsten merkt, ob der Gesprächspartner schwindelt. Sie schwindeln doch nicht, oder?«
    »Nur der Presse gegenüber«, sagte Clay Chalmers ohne ein verbindliches Lächeln.
    »Ein Tonic Water für den Herrn, nicht durch Alkohol verdorben. Und für mich einen sehr trockenen doppelten Martini ohne Olive, um dem Gin nicht den Platz wegzunehmen«, bestellte Wyatt Slingerland bei der knackigen jungen Kellnerin. Wohlgefällig schaute er ihr nach. Lange Beine, hübsches Fahrgestell. An Clay Chalmers gewandt fuhr er fort: »Sie brauchen sich wegen Ihrer antialkoholischen Neigungen nicht zu entschuldigen. Aber das haben Sie ja auch nicht getan. Jeder nach seiner Façon, das ist meine Devise.« Er schaute zum Fenster hinaus. Fünfundzwanzig Stockwerke unter ihnen fuhr ein beleuchteter Frachtkahn vorbei, und am Kai lag die Belle of Louisville mit bunt angestrahltem Deck, auf dem sich Tanzende bewegten. Fast widerwillig schenkte er seinem Gegenüber wieder Aufmerksamkeit, diesem ungesprächigen Kerl Clayton Chalmers, der noch keine fünfzig Wörter geredet hatte, seitdem er ihn zum Cocktail eingeladen hatte. Zu entlocken war ihm noch nichts gewesen. »Ich wollte mit Ihnen sprechen, Chalmers, weil Sie der einzige beim Bankett ohne weißes Jackett waren. Das und die schwarze Fliege sind Vorschrift bei diesem Festessen und gehören dazu wie ich.«
    »Ich habe kein Dinner-Jackett.«
    »Das kann man ausleihen.«
    Keine Reaktion, nicht einmal ein Lächeln. Wenn er eines an Wyatt verschwendet hatte, schien es mehr Selbstironie auszudrücken, ohne einen Anflug von Geringschätzung. Ein selbstsicherer Bursche, eigensinnig und unabhängig. Und doch irgendwie schüchtern. Man konnte ihn leicht unterschätzen, trotz seiner stillen Art und Manieren. Es erforderte schließlich einiges, um als Trainer bestehen zu können. Was mochte sich hinter diesem absichtlich nichts sagenden, zurückhaltenden Äußeren verbergen?
    »Das wird ein fabelhaftes Interview«, brummte Wyatt, »falls Sie sich nicht doch noch ein paar Bemerkungen abringen.«
    »Sie könnten ja etwas anderes fragen.«
    »Ihr naiven Romantiker mit dem verzückten Blick geht mir auf die Eier«, knurrte er.
    »Haben Sie sich schon von einem Arzt untersuchen lassen?«
    »Was haben Sie für Ihre Miniaturausgabe von Rappen bezahlt?«
    »Sechstausend. Als ein Stall aufgelöst wurde, in Ohio.«
    »Warum?«
    »Guter Körperbau. Gesund. Intelligent. Abstammung respektabel.«
    »Wer hat Ihnen das alles beigebracht?«
    »Unter anderem mein Vater.«
    »Trainer?«
    Wieder dieses ironische Lächeln. »Unter anderem. Pferdehändler, Quartalssäufer, Spieler – suchen Sie sich's aus. Er sagte immer: ›Einen Vollblüter trainieren ist wie einen erstklassigen Flügel stimmen. Wenn man zu viel des Guten tut, wird das Pferd zu lang. Es muß im rechten Moment wie eine gespannte Saite vibrieren. Und selbst wenn man alles richtig macht und wie ein Wahnsinniger schuftet, braucht man noch Glück.‹«
    »Ist Ihr Vater tot?«
    Ein Achselzucken. »Keine Ahnung.« Dann ein vages, distanziertes Lächeln.
    Wyatt fand diesen stillen Jungen allmählich sympathisch, der bezeichnenderweise seinen Rappen Heißsporn nannte. Die Kehrseite seines Charakters? Wie kam man an sie heran, provozierte eine unbedachte Äußerung?
    »Sie brauchen sich nicht zu entschuldigen, daß Sie einen Dreijährigen aus dem Sommerschlussverkauf für das Derby nominiert haben«, meinte Wyatt versöhnlich und ein wenig gönnerhaft, denn Chalmers hatte sich keineswegs entschuldigt und würde es auch bestimmt nicht tun. »Bold Forbes hat schließlich auch nur fünfzehntausendzweihundert Dollar gekostet und mauserte sich zum Champion 1976 und einer Gewinnsumme von über einer Million Dollar.«
    Clay Chalmers schaute über die dunklen Dächer hinaus. »Und Princequillo für ganze eintausendfünfhundert. Seine Nachkommen siegen in den meisten Steherrennen heute.«
    »Schau einer an«, schnaubte Wyatt. »Sie sind ja gar nicht auf den Mund gefallen.«
    »Wenn man mir eine Chance gibt«, antwortete Clay trocken.
    Diesmal mußte Wyatt lachen. Die Kellnerin brachte die bestellten Drinks und zog hüftenschwingend ab. »Wenn Sie noch was wolln, winkn Se, okay?«
    Wyatt wollte noch einiges, aber das würde ihm wohl nicht mehr in den Schoß fallen. Und wenn, dann war er nicht sicher, ob er damit noch etwas anfangen konnte. Er war zu alt, und für Sex war es zu spät; für alles war es zu

Weitere Kostenlose Bücher