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Sekunde der Wahrheit

Titel: Sekunde der Wahrheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hayes Joseph
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nicht, und hier halfen auch keine Pillen mehr. Das Flugzeug torkelte auf die Seite, auf schartige Felsenwände, schneebedeckte Gipfel und tiefeingeschnittene Schluchten zu und stieß dann mit der Nase nach unten wie ein tauchender Hai.
    In den Sitz gepresst, mit angestemmten Beinen, brachte sie keinen Ton heraus.
    Sie konnte sich nicht rühren. Vor der Windschutzscheibe bäumten sich Bergspitzen auf, bizarr und fahl, Steinzacken, die nur darauf warteten …
    Da wurde es ihr klar. Sie wußte Bescheid, konnte es aber nicht glauben. Sie wollte nicht sterben. So konnte sie doch nicht umkommen. Es war unfair in dem Moment, in dem ihr neues Leben beginnen sollte.
    Es jaulte ohrenbetäubend, und über den Lärm hinweg brüllte sie seinen Namen. Wessen Namen? Der Pilot hörte es nicht. Schweigend und in voller Konzentration hantierte er an den Schaltern, dem Steuerknüppel, zog ihn zurück …
    Und da geschah es. Die Motoren spuckten und sprangen dann wieder donnernd an.
    Sie konnte es nicht fassen.
    Die Nase der Maschine hob sich, langsam zuerst, dann zusehends schneller, das Rauschen des Windes vermischte sich mit dem Dröhnen. Der piepsende Dauerton brach ab, die Fluglage hatte sich stabilisiert, die Maschine begann wieder zu steigen. Über ihr wölbte sich ein nachtblauer Himmel, von einigen Wolken durchzogen. Noch war es nicht ganz begreiflich, aber der Spuk schien vorüber. »Danke, Owen. Vielen Dank.«
    Dann drehte sie sich um. Und schrie auf.
    Der Schrei übertönte alle anderen Geräusche.
    Er füllte die Kabine mit Schrecken und brachte den Piloten dazu, sich erst durch den Bart zu streichen und dann auch den Kopf zu wenden.
    Der Mann auf dem Rücksitz saß noch immer aufrecht da, vom Gurt festgehalten, starr und dürr. Seine Augen starrten sie blicklos an. Der Unterkiefer hing ihm herunter, und sein ausgemergeltes Gesicht war schlaff.
    Christine kletterte nach hinten, während der Pilot erneut auf Kurs ging. Spontan packte sie ihren Mann an den Schultern. Da sackte sein Kopf auf die Seite. Benommen redete sie wirr auf ihn ein, aber sie schrie nicht mehr. Dann umarmte sie den festgezurrten Leichnam und begann zu weinen.
    Doch der Pilot schien dafür keine Augen und keine Ohren zu haben. Er hatte den Zeitpunkt für dieses Flugmanöver präzise gewählt: Wenn das Flugzeug die Truchas-Gipfel, den Sangre de Cristo überquerte und Christine ziemlich, aber noch nicht sinnlos betrunken war. Hätte er länger gewartet, wären sie über der Ebene gewesen. Er war sich nicht sicher gewesen, ob es geklappt hatte, ehe er ihren Schrei gehört hatte. Doch wo blieb jetzt die Befriedigung, die Erleichterung? Owen hatte erwartet, vor Freude besoffen, verrückt zu sein. Er hatte seine Chance ausgetüftelt, wahrgenommen, und es hatte geklappt. Was war mit ihm los? Warum empfand er keine Freude? Eher das Gegenteil. Und noch immer den eisernen Druck im Magen. Er änderte den Kurs, nahm Funkkontakt mit Taos auf und berichtete, er habe einen Verletzten an Bord und benötige dringend einen Arzt, wenn er landete. Natürlich konnte diesem Knochenbündel da hinten, das einst Stuart Rosser gewesen war, kein Arzt mehr helfen.
    Würde man ihn verhören? Zum Teufel, Unfälle passierten immer wieder. Abdrift über den Bergen. Wenn ein Mann mit einem kaputten Herzen darauf besteht, sich den Aufregungen eines Flugs und dann des Derbys auszusetzen, entgegen den Ratschlägen seines Arztes, seiner Frau und seines Trainers, entgegen den wiederholten Warnungen …
    Die Drähte zu ziehen, war nicht so schwer gewesen wie erwartet. Nein, das ging ziemlich glatt. Ein Schuldgefühl empfand er nicht. Er war auf eine Goldader gestoßen, und die sollte ihm niemand streitig machen. Es tat ihm schon leid um den alten Mann; der war echt in Ordnung gewesen, ein guter Chef. Bezahlte ihn anständig und ließ ihm freie Hand. Hatte sogar ihm zuliebe und wegen der Begeisterung seiner sechsundvierzigjährigen Frau, deren Wünsche der alte, kranke Mann sonst nicht mehr befriedigen konnte, das Flugzeug angeschafft. Was ihn aber schließlich zur Teilnahme am Derby bewegt hatte, war die Tatsache, daß er nie zuvor einen jungen Hengst wie Fireaway besessen hatte, und daß er nun einmal ein Dreijähriger war. Als Hintergedanke mochte mitgespielt haben, daß auch seine Zeit bemessen war.
    Owen Chalmers konnte also seine Hände in Unschuld waschen. Der arme alte Stu war für dieses Schicksal bestimmt gewesen. Schicksal, Kismet. Er brauchte einem also nicht leid zu tun oder gar

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