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Sekunde der Wahrheit

Titel: Sekunde der Wahrheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hayes Joseph
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spät. Er nippte an seinem Martini und fühlte, wie seine Laune umschlug, ohne daß er viel dagegen tun konnte. Unvermittelt brachte ihn dieser gelassene Bursche auf, und er nahm ihn auf die Hörner: »Wie haben Sie Ihren Renner sauber gekriegt?«
    »Hotspur war nie ein tückisches Pferd.« Auflehnung ließ seine Augen blitzen. »Temperamentvoll, ja, ungebärdig, auch, aber nie hinterhältig und bösartig.«
    Wyatt ließ sich nicht so leicht abbringen. »Und deshalb haben Sie ihn Heißsporn genannt?«
    »Der damalige Besitzer hat ihm Beruhigungsmittel eingegeben, um ihn verkaufen zu können.«
    Wyatt zuckte mit den Achseln. »Das passiert immer wieder in diesen Tagen der heuchlerischen Rechtschaffenheit.«
    »Er brauchte nur eine sanfte, aber feste Hand. Und natürlich Selbstvertrauen.« Zu Wyatts Überraschung lehnte sich Clay über den Tisch und fuhr mit sichtlichem inneren Engagement fort: »Pferde sind Lauftiere. Keine Raubtiere. Wenn ein Pferd nicht aus der Startmaschine will, dann liegt es nicht daran, daß es zu faul oder zu eigenwillig ist – es hat einfach Angst. Und auf der Rennbahn fühlt es sich von allen Seiten einem Angriff ausgeliefert. Bei jedem Schritt verletzlich. Man muß also sein Leben mit so vielen positiven Erfahrungen füllen, daß es die negativen erträgt und weiterläuft.«
    Was für unerwartete Enthüllungen zu später Stunde. Wyatt fühlte sich augenblicklich wohler. So etwas bekam man heute nicht mehr oft zu hören, aber das war genau die Einstellung, die er persönlich mochte und schätzte. »Sechstausend Dollar, Clay«, sagte er mit bärbeißiger Anerkennung. »Ihnen ist doch klar, daß bei der Pferdeauktion in Keeneland stündlich eine Million Dollar den Besitzer wechseln? Für manche Pferde werden eineinhalb Millionen Dollar bezahlt.« Dann klopfte er spontan auf den Busch. »Und Sie tauchen hier mit einem mickrigen Dreijährigen auf und haben nicht mal genüg Moneten für das Startgeld.« Plötzlich wußte er, daß er ins Schwarze getroffen hatte.
    Clay ließ sich zwar nichts anmerken, aber Wyatt wartete geduldig. Das war seine Taktik: an den Haaren herbeigezogene Behauptungen, aufgeschnappte Gerüchte als Tatsachen hinstellen und dann sehen, wie die anderen reagierten …
    Statt zu widersprechen, lehnte Clay sich zurück und schaute ihn herausfordernd an. Auch er konnte abwarten.
    Wyatt wurde seiner Sache zunehmend sicherer, fand sie aber einfach unglaublich. Schließlich nahm er einen Schluck Gin und sagte: »Die hundertfünfzig Dollar Anmeldegebühr für das Derby schließen das Trial ein, und das Startgeld dafür kostet nur noch weitere zweihundert …«
    Clay zuckte mit den Achseln. »Hotspur muß es nicht gewinnen. Eine Platzierung reicht schon am Dienstag …«
    »Dann hätten Sie die siebentausendfünfhundert Dollar und könnten im Derby starten. Aber was passiert, wenn Ihr Rappe letzter wird?«
    Diesmal kam kein Achselzucken und keine Antwort. Soviel übersteigerter Optimismus, soviel Arroganz gehörten eigentlich bestraft oder belohnt. Nun hatte er den Aufhänger für seine Fernsehsendung am Dienstag früh, obgleich das Trial keine Vorentscheidung für das Derby sein konnte; nur drei der Derbystarter waren für das Trial, das eigentlich ein langweiliges Rennen war, gemeldet worden. Für Wyatt und die anderen Turfnarren allerdings war jedes Rennen aufregend.
    »Ich bewundere Ihre Nase«, meinte er dann. »Wo haben Sie die denn her?«
    »Von meinem Bruder.«
    »Ich hatte auch so einen Bruder. Nur war ich der größere.«
    Er leerte das Glas. Noch einen? Lieber nicht. Der junge Clay mit seinem Tonic Water war möglicherweise ein trockengelegter Alkoholiker, und er wollte es ihm nicht schwer machen. Er gefiel ihm. »Ist das der gleiche, der Stuart Rossers Pferde trainiert? Er soll heute eintreffen; er fliegt Rossers Privatmaschine.«
    Ein Ausdruck amüsierter Anerkennung trat in Clays Gesicht. »Schon als Kind hat Owen immer behauptet, er würde eines Tages auch Pilot.«
    »Wenn das keine Geschichte abgibt: zwei Brüder, beide Trainer, einer sogar Besitzer. Darauf fliegen die Massen doch – unterdrückte Rivalität und ähnlich neurotischer Quatsch.«
    Nun mußte Clay grinsen. »Damit haben Sie den Nagel auf den Kopf getroffen, Graf. Mein Alter, Owen und ich sind als Kinder im ganzen Land herumgezogen – Bauernrennen, Jahrmärkte, Volksfeste, Rodeos. Aber mit sechzehn habe ich mich selbständig gemacht. Ich weiß nicht mal, was aus meinem Vater geworden ist, und

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