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Sekunde der Wahrheit

Titel: Sekunde der Wahrheit
Autoren: Hayes Joseph
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für ein Tag?« wiederholte die Frau.
    »Ja.« Sie fand nicht die Kraft, um aufzustehen. »Ja, was für ein Wochentag.«
    Sie rückten seitlich von ihr ab. »Es ist Freitag«, sagte der Mann über die Schulter, und als sie die Stufen weiter hinabstiegen, vernahm sie noch die Worte der Frau: »Ist wohl high von Alkohol oder Drogen.«
    High? Weit entfernt. Sie fühlte sich down und sehr elend. Freitag. Sie war also über Nacht weggewesen. Und das Oaks war vor einer Stunde gelaufen worden. Doch wo hatte sie das Auto gelassen? Sie besaß nicht einmal einen müden Cent mehr.
    Da kam ihr der erste konstruktive Gedanke. Wenn sie sich aufraffen könnte und zudem etwas Geld auftriebe, dann könnte sie von einer Telefonzelle aus ein R-Gespräch mit Andrew führen. Wenn er nicht in seinem Zimmer war, dann steckte er bestimmt bei der irischen Tante.
    Sie brauchte unbedingt Geld, um telefonieren zu können. Andrew würde dann schon herfliegen und sie abholen.
    Doch sie war völlig blank.
    Keine Panik!
    Du weißt doch, wie du zu Geld kommst, Kimberley.
    Also … du bist auch wieder da.
    Ich war nie weg, Kimberley. Ich bin du, das weißt du doch.
    Dann … sag mir, wo ich war.
    Du weißt doch, daß ich das nicht tue. Niemals.
    Dann verpiß dich.
    Nun bist du wieder die Alte. Wenn ich es dir sagen würde, dann würdest du vielleicht dich an etwas anderes erinnern, was du um jeden Preis vergessen willst.
    Geh weg, ich hasse dich.
    Ich kann dir aber sagen, wie du zu einem Zehncentstück kommst.
    Wie?
    Wende dich an einen Mann, irgendeinen dummen Mann … ein viel versprechendes Lächeln, eine Lüge, du hast die Handtasche verloren …
    Das ist keine Lüge.
    Oder jemand hat sie entwendet. Versuch's!
    Auf dem Sofa ihrer Suite liegend, mußte Brigid Tyrone an Molly denken und damit unweigerlich auch an Andrew, denn die beiden hatten ihre zuverlässige, vertraute Welt aus den Angeln gehoben. Nicht direkt zerstört, nicht ganz. Aber das Erdbeben wirkte nach, und bald würde sie allein sein.
    Wenn sie mit Andrew zusammen war, drängte sich eine dritte Person dazwischen. Und nun Molly: Auch sie würde sie verlieren, das hatte ihr der selbstverständlich intime Kuß verraten. Nun, dieser Bernie Golden hatte etwas geschafft, was ihr trotz aller Bemühungen nicht gelungen war – Molly aus ihrem lethargischen Dahindämmern zu reißen. Molly würde ihm dafür ihr Leben lang dankbar sein, so gut kannte Brigid sie. Und von der Dankbarkeit zur Liebe ist es nur ein kleiner Schritt.
    Das Telefon unterbrach mit dezentem Summen ihre Gedankengänge, und sie nahm den Hörer ab.
    »Brigid Tyrone.«
    »Miß Kimberley Cameron ruft mit einem R-Gespräch an. Nehmen Sie es an?«
    »Ja, natürlich, stellen Sie sie durch, bitte …«
    »Sprechen Sie.«
    Und dann Kimberleys Stimme – auch wenn sie fremd klang. »Wo ist mein Vater?« Ihre Verzweiflung war unverkennbar herauszuhören. »Ist er da, bitte, bitte?«
    »Tut mir leid, Kimberley.« Und das traf zu, denn die Not des Mädchens war fast greifbar. »Haben Sie versucht, ihn auf seinem Zimmer zu erreichen?«
    »Natürlich, klar. Sagen Sie ihm … sagen Sie ihm bitte, ich bin in Chicago, und ich … bitte, ja?«
    »Natürlich, Kind. Aber …« Dann fiel es ihr ein. »Kimberley, sind Sie noch dran?«
    »Ja, ich bin da.«
    »Er sprach von einem Treffen mit Mr. Raynolds nach dem Rennen. Kann ich … gibt es etwas, was ich für Sie tun kann, Kimberley?«
    »Nein. Nein, nichts. Niemand kann mir helfen.«
    Ein schwaches Klicken, und dann war die Leitung tot.
    Chicago? Und sie hatte keine Rufnummer genannt. Brigid wußte, das war ein Notruf gewesen, ein einziger Hilfeschrei … Oh, Gott, lass dem Mädchen nichts passiert sein. Um Andrews willen.
    Brigid zog sich hastig an. Sie mußte unbedingt Andrew finden. Sofort.
    Seltsam nur – warum rief das Mädchen ihren Vater an anstatt Clay Chalmers?
    Blake Raynolds war zum Telefon im Vorraum gehumpelt und hatte das Gespräch entgegengenommen. »Ja, Ihr Vater und Mr. Chalmers sind bei mir.«
    Er hatte nicht erwähnt, daß sie schon wieder berieten, was wegen ihres verdammten Verschwindens zu unternehmen war.
    »Mit wem wollen Sie reden, Kimberley?«
    Eine Pause.
    »Kimberley?«
    »Ja. Mit Andrew bitte.«
    Sie behandelte ihn mit äußerster Geringschätzung, nein, noch schlimmer, Janice Wessell tat inzwischen so, als wäre er überhaupt nicht vorhanden. Ihre schweigende Verachtung war unerträglich, und dabei brauchte er ihr nur zu sagen, was sie wissen wollte,
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