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Sekunde der Wahrheit

Titel: Sekunde der Wahrheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hayes Joseph
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grinsend: »Ich weiß, wann ich verloren habe, kleiner Bruder. Geben wir uns die Hand und vergessen die ganze Sache.« Was bei Owen nur das Gegenteil bedeuten konnte: Er war nie brutaler und gefährlicher, als wenn er ein Friedensangebot machte.
    Und Andrews angstgepeinigte Worte huschten ihm durch den Kopf: ›Woher soll man es wissen? Wenn man es sich später überlegt, wenn etwas passiert ist, macht man sich ewig Vorwürfe daß einem nicht das Richtige zum richtigen Zeitpunkt eingefallen ist. Aber wie soll man wissen, was man tun soll?‹
    Was willst du eigentlich hier draußen, Brigid Tyrone, auf dem von Lampions und Fackeln beleuchteten Rasen, während drinnen eine rauschende Party im Gange ist? Treiben dich deine eigenen Furien? Schwelgst du in Selbstmitleid? Fühlst du dich einsam und ausgeschlossen? Nicht von der Party, sondern da, wo es schmerzt.
    Musikklänge drangen heraus, Stimmengewirr und Gelächter – die Jordansche Derbyparty war schlechthin das gesellschaftliche Ereignis. Das hochherrschaftliche Haus mit vielen Zimmern und aufmerksamen Dienstboten war mit illustren Gästen gefüllt, die nun nach einem exquisiten Dinner mit Fasan und Lachs fröhlich dem Wein und Whisky zusprachen.
    Über ihr wölbte sich ein pastellfarbener Himmel mit zarten Wölkchen und der dekorativen Mondsichel. Warum bloß fühlte sie sich wie ein Eindringling?
    Den ganzen Abend hatte sie nur Fragen gehört: Wo steckt Kimberley? Ist Kimberley krank? Hoffentlich geht es Kimberley gut, wir haben sie heute noch gar nicht gesehen … Als sei es selbstverständlich, daß Andrew und Kimberley wie siamesische Zwillinge auftraten.
    Es war nicht, wie sie sich beschwichtigte, Eifersucht, die ihr die Laune verdarb oder auf der Seele lag, sondern es war eher ein Gefühl der Hoffnungslosigkeit. Aber warum hoffnungslos? Obgleich ihr die ganze Zeit mehr oder weniger bewußt gewesen war, wie ihre Beziehung zu Andrew in Wirklichkeit aussah – eine kurze, zauberhafte Affäre, wenn auch mit einigen Widerhaken und Komplikationen –, rebellierte etwas in ihr gegen diese Betrachtung. Sie war altmodisch und neigte nicht zu flüchtigen Verhältnissen. Und immer wieder hatte ihr Gefühl gesagt, daß es mehr war.
    Doch war sie heute abend immer wieder überdeutlich daran erinnert worden, daß normalerweise Andrew mit Kimberley auf solchen Partys erschien und daß zwischen den beiden eine zwar komplizierte, aber desto unzertrennlichere Bindung bestand. Auf ihre Weise herrschte Kimberley wie ein Tyrann und war sogar heute allgegenwärtig und ein Störfaktor.
    »Ist dir Gesellschaft willkommen?«
    Andrew war ihr nachgegangen. War ihr Gesellschaft willkommen? Als sie ihn musterte, wie er aufrecht in seinem Dinner-Jackett dastand, wurde ihr wieder bewußt, daß es ihr letzter Abend war.
    Sie zog die Stola aus Kenmare-Spitzen enger um die Schultern. »Ja«, gestand sie ein und hängte sich bei ihm ein. »Ja, Andrew, deine Gesellschaft immer.«
    »Du kannst wohl unseren Stammesritualen wenig abgewinnen?« fragte er sacht.
    Sie antwortete nicht. Sie dachte unvermittelt an den Toast, den die Gastgeberin ausgesprochen hatte, auf Rachel Stoddard. »Rachel«, hatte Andrew ihr zugeflüstert, »war immer der Mittelpunkt von solchen Festlichkeiten.« Das konnte sie sich lebhaft vorstellen.
    »Du mußt mit den Wölfen heulen – sie sind schon nicht so schlimm«, fuhr Andrew fort, als sie durch den Park schlenderten. »Unsere Gastgeberin hat einen farbigeren Hintergrund als man ihr heute zutraut. Sie stammt aus einer alten Bostoner Familie – daher die Aussprache wie mit zusammengebissenen Zähnen. So wichtig sie einen guten Stall nimmt – in ihrer Jugend hat sie über die Stränge geschlagen, hat als Tänzerin in einem Kabarett gearbeitet und wurde sogar von einem kommunistischen Maler in Mexiko gemalt. Das Bild soll heute noch in irgendeiner Bar dort unten hängen.« Er blieb stehen und schaute sie an. »Langweilt es dich? Sollen wir eine Ausrede erfinden und gehen?«
    »Lass dich heute nicht durch mich stören«, sagte sie und ging weiter. »Mir geht Molly im Kopf herum.« Es war eine Ausflucht, keine Lüge. »Ich habe das Empfinden, ihr ist es mit dem jungen Mann ernst.«
    »Molly? Die kleine Molly Muldoon?«
    »Es ist der junge Hilfstrainer, der von dem Dobermann angefallen wurde.«
    »Ich kenne ihn nicht persönlich«, sagte Andrew. »Aber wenn er Clays Assistent ist, dann ist er in Ordnung.«
    So eine pauschale Vertrauenserklärung verblüffte sie.

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