Sekundentod: Kriminalroman (German Edition)
ließ den Park auf sich wirken. Er stieg wieder herab, ging zu seinem Kollegen Kunst hinüber. Falko war sich bewusst, dass jeder seiner Schritte von den neugierigen Blicken der Polizisten verfolgt wurde. Doch es war ihm einerlei. Er kannte das von Kollegen, die mit ihm und seiner Vorgehensweise noch nicht vertraut waren. »Als Sie Natascha Wending hier gefunden haben, hatten Sie da denselben Eindruck von der Auffindesituation?« Cornelsen sah Kunst fragend an.
»Was meinen Sie konkret?«
»Die Decke.« Er deutete auf die Tote. »Er hat den Leichnam in eine Decke gehüllt. Der Leichnam von Natascha Wending wurde, soweit ich das auf den Fotos, die Sie uns zur Verfügung gestellt haben, erkennen konnte, einfach nur abgelegt. Diese Frau jedoch hat er in eine Decke eingehüllt.« Er tippte sich mit dem Finger gegen die Lippen. »Entweder die Frau oder das Kind oder beide haben ihm etwas bedeutet. Haben Sie auf die Arme der Frau geachtet?«
»Es sieht aus, als würde sie ihr Kind behüten.«
»Ganz genau. Sie war etwas Besonderes für ihn. Vielleicht ging es ihm die ganze Zeit nur um sie.«
»Also glauben Sie, dass er alles erledigt hat und die Morde aufhören?«
»Derzeit verwirrt mich mehr, als ich sortieren kann. Unser Hauptverdächtiger Rafael Langer kann für diesen Mord hier unter keinen Umständen verantwortlich sein. Er war zu der Zeit bei uns in Lüneburg.«
»Vielleicht ein Komplize?«
»Möglich.« Cornelsen starrte auf den toten Körper. »Warum eine Mutter?«, murmelte er. »Sie war Floristin, sagen Sie?«
»Ganz recht. Sie ist direkt nach der Arbeit verschwunden. Wie gesagt, ihr Mann hat sie vor etwas über vier Wochen als vermisst gemeldet.«
»Also war sie da schon sichtbar schwanger?«
»Mit Sicherheit, ja. So groß, wie das Kind ist, dürfte es etwa zum errechneten Zeitpunkt gekommen sein. Näheres wird die Autopsie und natürlich die Befragung ihres Mannes ergeben. Er wird ja wissen, wann das Kind kommen sollte.«
Falko legte erneut seinen Zeigefinger an die Lippen. »Eine schwangere Frau und Menschen, die in Pflegeberufen arbeiten«, sagte Falko mehr zu sich selbst. »Krankenschwestern kümmern sich um ihre Patienten genau wie Pfleger. Gutachterinnen entscheiden zum Wohl derjenigen, die selbst nicht in der Lage dazu sind.« Er machte eine kurze Pause, tippte sich weiter mit dem Finger an die Lippen. »Mütter sind der Ursprung aller Pflege. Sie sind für ihre Kinder da, sobald sie auf die Welt kommen, kümmern sich um sie, hegen und pflegen sie.« Er flüsterte die Worte vor sich hin.
»Also passt sie doch ins Bild«, sagte Kunst leise.
»Sie passt. Aber was war hier anders? Die Decke und die Lage drücken Bedauern aus, ja fast schon Trauer.« Falko ging nah an den Rand des Grabes heran, hockte sich etwa in Höhe des Kopfes auf den Boden. »Was hast du empfunden, als du sie da abgelegt hast? Was ging in dir vor?« Erst jetzt bemerkte er ein Detail, das er vorher, starr den Blick auf das tote Baby gerichtet, übersehen hatte. »Fürsorge.« Er blickte zu Oberkommissar Kunst auf und deutete auf den Kopf der Toten. »Sehen Sie das? Er hat ihr das Haar gekämmt und ordentlich gerichtet. Sie sollte nicht ungepflegt aussehen. Er war fürsorglich.«
»Noch fürsorglicher hätte ich’s gefunden, sie nicht umzubringen.« Kunst verzog grimmig das Gesicht.
»Damit werfen Sie eine interessante Frage auf, Herr Kollege. Hat Ihr Gerichtsmediziner eine Vermutung angestellt, woran sie gestorben sein könnte? Ich kann auf den ersten Blick keine Verletzungen erkennen.« Er blickte noch einmal auf die Tote, um sich zu vergewissern.
Kunst schüttelte den Kopf. »Wir müssen die Autopsie abwarten. Doch wir haben unseren fähigsten Mann an der Sache dran. Er wartet nur darauf, dass er die Leichen mitnehmen und mit seiner Arbeit beginnen kann.«
»Ich habe hier genug gesehen. Wenn es Ihnen nichts ausmacht, würde ich gern in einem Hotel unterkommen und mir vorher das Nötigste kaufen. Ich bin heute Mittag sofort losgefahren, ohne zu packen.«
»Das mit den Sachen kann jemand für Sie erledigen. Wissen Sie schon, in welches Hotel Sie wollen?«
Falko schüttelte den Kopf.
»Gut. Fahren Sie mit mir, dann können wir unterwegs noch reden. Ein Beamter wird uns mit Ihrem Wagen folgen, wenn Sie einverstanden sind.«
Cornelsen nickte, war aber mit den Gedanken schon ganz woanders. Ein fürsorglicher Mörder, der Pflegepersonen bestraft. Warum könnte er das tun? Und vor allem: Welche Rolle spielte Rafael Langer
Weitere Kostenlose Bücher