Selber schuld!: Ein Wegweiser aus seelischen Sackgassen (German Edition)
zu der er sich zwingen muss. Sie antwortet schnell und zielsicher: »Ihr eigenes Gefühl sagt Ihnen, dass Sie nicht so waren, wie Sie jetzt sind. Ich bin noch dieselbe. Das, was uns Glück versprach, als wir noch ein Herz und eine Seele waren, muss uns Unglück bringen, da wir im Geiste nicht mehr eins sind. Wie oft ich und wie bitter dies gefühlt habe, will ich nicht sagen; es ist genug, dass ich es gefühlt habe und dass ich Ihnen Ihr Wort zurückgeben kann.« Sie treibt ihn in die Ecke! Was wird der Therapeut sagen? Scrooge muss in vielen Therapiestunden aufarbeiten, was er hier einstecken muss.
Jetzt heißt es durchhalten! Er kann sich von dieser Gefühlsduselei zunehmend distanzieren. Das Buch des Therapeuten hatte recht: Aller Anfang ist schwer. Aber dann geht es immer leichter. Sie »fühlt«, dass Scrooge die Verlobung lösen will, versucht die emotionale Erpressung. Aber als hochsensibler Patient durchschaut er ihr Manöver und antwortet: »Habe ich dies jemals verlangt?« Sie bleibt bei ihrer dramatischen Vorstellung, will ihm ein schlechtes Gewissen machen: »In Worten? Nein. Niemals.« Er: »Wie dann?« Sie: »Durch ein verändertes Wesen, durch einen andern Sinn, durch andere Bestrebungen im Leben und durch andere Hoffnungen – in allem, was meiner Liebe in Ihren Augen Wert gab. Wenn alles Frühere nicht zwischen uns geschehen wäre, würden Sie mich jetzt aufsuchen und um mich werben? Gewiss nicht!« Zeit gewinnen, die Frau ist raffiniert, emotional überlegen. Hat sich sicherlich gut vorbereitet. Wir müssen hier raus, die Luft wird dünn. »Sie glauben nicht?« Sie, in hoher Dramatik, auch noch Tränen fließen lassend, um ihn unter Druck zu setzen: » Gern glaubte ich es, wenn ich könnte. Gott weiß es. Wenn ich eine Wahrheit wie diese erkannt habe, weiß ich, wie unwiderstehlich sie sein muss. Aber soll ich glauben, dass Sie ein armes Mädchen wählen würden, wenn Sie heute oder morgen oder gestern frei wären, Sie, der selbst in den vertrautesten Stunden alles nach dem Gewinn misst? Oder soll ich mir verhehlen, dass Sie gewiss einst sich getäuscht und bittere Reue fühlen würden, weil Sie für einen Augenblick Ihrem einzigen leitenden Grundsatz untreu werden? Nein, und deswegen gebe ich Ihnen Ihr Wort zurück: willig und um der Liebe dessentwillen, der Sie einst waren. Vielleicht – der Gedanke an die Vergangenheit lässt es mich fast hoffen – wird es Sie schmerzen. Eine kurze, sehr kurze Zeit, und Sie werden dann die Erinnerung daran fallenlassen, wie die Gedanken an einen nichtigen Traum, aus dem zu erwachen ein Glück für Sie war. Möge Sie alles Glück auf dem gewählten Lebensweg begleiten! « Jetzt nichts anmerken lassen. Nur nicht über das nachdenken, was sie gesagt hat. Sie geht und erwartet, dass er ihr nachläuft. Ein unterschwelliger Appell, er möge sie zurückholen, vor ihr auf die Knie fallen und ihr nachgeben! Gut, soll sie gehen! Abgrenzen und an den Ratgeber »Mut zum Nein sagen: Grenzen setzen ohne Schuldgefühle« denken.
Ebenezer Scrooge schaffte es tatsächlich, seine Schuldgefühle zu unterdrücken und die Frau ziehen zu lassen. Es war das erste Mal, dass es ihm möglich war, auch einmal nein zu sagen und jemandem konsequent zu zeigen, wo seine Grenzen liegen. Endlich ging es um seine Bedürfnisse und nicht immer um die der anderen. Es war ihm gelungen, sich vor Überforderung zu schützen und seine persönlichen Grenzen auf sachliche und verständliche Art klarzumachen. Sein Therapeut war stolz auf ihn. Die Episode änderte das Leben des Ebenezer Scrooge. Ab diesem Zeitpunkt konnte er seine persönlichen Grenzen gut wahrnehmen und sie anderen gegenüber leicht durchsetzen. Sein restliches Leben konnte sich Scrooge erfolgreich und ohne weitere Hindernisse selbst verwirklichen.
Perfektionismus und Fehlerlosigkeit
Die Haupteigenschaft des Unschuldslamms ist es, fehler- und makellos zu sein: also perfekt. Was genau Perfektionismus ist, weiß allerdings keiner so genau, denn darüber gibt es bis heute keinen Konsens in der deutschsprachigen Forschung. In diesem Buch soll der Begriff in dem Sinn Verwendung finden, dass ein Mensch ein hohes Ideal – die Perfektion – mit einer unfreien, ja ängstlichen Verbissenheit in dem Maß anstrebt, dass er dadurch schwachsichtig wird für seine eigenen Unvollkommenheiten. Seine Schwachsichtigkeit rührt daher, dass »nicht sein kann, was nicht sein darf«. Keiner soll ihm einen Fehler nachsagen können! Damit ist schon
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