Selber schuld!: Ein Wegweiser aus seelischen Sackgassen (German Edition)
gemacht, und wir haben uns über die Feier unterhalten, und ich habe Dir auch gleich gesagt, dass ich mich total alleine gefühlt habe. Danach warst Du beleidigt. Willst Du die Wahrheit nicht hören? Was für eine traurige Hochzeitsnacht hast Du mir dann bereitet!«
ANALYSE: Doris E. zeigt einen hohen Grad an Ichhaftigkeit – ihre Sicht der Dinge ist absolut. Sie weist deutliche Züge von zwanghaftem Kontrollverhalten auf: alles muss so laufen, wie sie es will, sonst ist es nicht gut genug. Jetzt sind Sie dran: Falls Sie die Farbgebung aus Fall 14 noch in Erinnerung haben, welche Farbe würde hier wohl dominieren?
Die »Mobbing«-Tarnkappe
Mobbing als psychodynamische Treibjagd auf Andersartige kennt die Menschheit in allen möglichen traurigen und schuldhaften Schattierungen. Dieses Phänomen ist im vorliegenden Abschnitt nicht gemeint. Im Gegensatz dazu gibt es nämlich Fälle, in denen »Mobbing« als Totschlagargument vorgeschoben wird. Als eine Form der Fremdbeschuldigung, die ganz rasch viel Mitgefühl und Mitleid hervorruft, die auch von vornherein keinen hohen Grad an Beweisbarkeit hat – und sich daher auch für falsche Fremdbeschuldigung prima eignet. Natürlich gibt es Fälle von echtem Mobbing, aber eben auch ein breites Feld, wo die Dinge nicht so klar liegen. Da sind wir Psychos oft ziemlich machtlos, weil hier Fremd- und Selbstbild weit auseinanderklaffen und die Verifizierbarkeit schwer ist.
Es stimmt schon nachdenklich, wenn einer überall, wo er in den zurückliegenden 20 Jahren gearbeitet und gelebt hat, gemobbt wurde. Einmal vom Chef, dann von der Sekretärin, die eigentlich etwas von ihm wollte, dann von den eifersüchtigen Arbeitskollegen, von Nachbarn und Partnern. Diese Patienten kommen in die Therapie und sagen: »Ich werde gemobbt.« Dann folgt Schweigen. Jetzt erwarten sie von einem wirklich empathischen Therapeuten, dass er gemeinsam mit ihnen über die Kollegen oder die Ehefrau herfällt. Mobbing ist aber letztlich keine Diagnose, sondern ein subjektives Erleben – das schon rein formal aus Fremdbeschuldigung besteht.
Der österreichische Zoologe und Verhaltensforscher Konrad Lorenz prägte den Begriff »Mobbing« als Verhalten unter Tieren. Er beschrieb damit Gruppenangriffe von seinen süßen Graugänsen auf einen überlegenen Gegner, etwa auf den Fuchs. Das ist Wasser auf meine Mühlen! Der Fuchs wird da also von den Gänsen gemobbt. Wenn der sich jetzt beim Gleichbehandlungsausschuss beschwert, kriegen die Gänse ein Problem. Würden sie den Fuchs aber nicht mobben, würde er zumindest eine von ihnen verspeisen und mit der Zeit die illustre Gänseschar ganz schön reduzieren. Mobben kann also sogar die kollektive Gesundheit erhalten! Die objektive Beschreibung des Mobbings ist demnach – entgegen der heutigen Verwendung – nicht ein Zeichen von Unschuld des Opfers, sondern nur die Beschreibung eines Konflikts, dessen Ursache wir nicht kennen. Mobbing ist heute aber ein entrüstetes moralisches Urteil, in dem man mit dem Zeigefinger auf eine Gruppe von bösen Menschen weist.
Kennen Sie das aus manchen beruflichen Biotopen? Da kommt eine neue Graugans und spielt sich auf, weiß alles besser, teilt alle anderen Graugänse ein und arbeitet dafür umso weniger. Wenn sich die anderen Graugänse das auf Dauer nicht gefallen lassen und sie schließlich das Feld räumen muss, erzählt sie ihrem Therapeuten, wie gemein sie doch von diesen Ungeheuern gemobbt worden sei. Der Therapeut ist betroffen und beginnt eine Traumatherapie. Lerneffekt null. Wenn sie sich nicht ändert, wird sie auch für den nächsten Gänseschwarm eine Bedrohung darstellen. Warum hinterfragen wir nicht: Und wieso genau werden Sie gemobbt? Wenn das vermeintliche Mobbing-Opfer nicht versteht, könnten wir präzisieren: Na, sind Sie ein Fuchs oder eine besserwisserische Graugans?
ZUSAMMENFASSUNG: Schuld existiert. Sie wird zunächst auch als solche richtigerweise wahrgenommen, aber dann nicht immer richtig zugeteilt. Es ist psychodynamisch eine kurzfristige Entlastung, die Schuld einem anderen in die Schuhe schieben zu können. Aber Fremdbeschuldigung ist eine Sackgasse, weil man sich nur selbst ändern kann. Im Gegensatz dazu bewirkt das Eingestehen der eigenen Schuld Freiheitszuwachs und eröffnet neuen Handlungsspielraum.
Teil II
Wie der Mensch gestrickt ist
4. Kapitel
Wofür wir nichts können
Gregorius auf der Couch
H and aufs Herz: In unserem Leben haben wir sehr vieles nicht in der eigenen
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