Selber schuld!: Ein Wegweiser aus seelischen Sackgassen (German Edition)
beabsichtigt. Denn nach vielen Jahrzehnten der therapeutischen Exkulpierung müssen diese Ideen wie ein Tabubruch wirken. Nochmals: selbstverständlich ist man nicht an allen psychischen Störungen, die die gängigen internationalen Klassifikationen auflisten, »selber schuld«. Dieses Buch will – das proklamiere ich hiermit feierlich – kein Allheilmittel sein für alle Formen der Psychotraumatologie als Folgen von z.B. sexuellem Missbrauch, Vergewaltigung, Raubmord, Betrug, Entführung, Flugzeugabsturz, Erdbeben, Tsunami und anderen Greueln. Diese und ähnliche Fälle sind definitiv nicht gemeint und inhaltlich zur Gänze ausgeschlossen. Es gibt sie natürlich, die Opfer von menschlicher Bosheit und Ungerechtigkeit – aber auch sehr viele Menschen, die sich von fortgeschobener Schuld endlich befreien können, indem sie in ihr den eigenen Anteil erkennen.
Ich sehe schon jetzt die moralische Entrüstung des einen oder anderen Lesers voraus, wenn er die humorvolle Aufarbeitung eines so ernsten Themas in die falsche Kehle bekommt. Er möge geneigt zur Kenntnis nehmen, dass Humor Teil meines Therapie-Repertoires ist und deswegen in diesem Werk oft mitschwingen wird. Wenn ich einen Sachverhalt leicht ironisiere, bedeutet das selbstverständlich nicht, dass ich mich über einen Patienten oder sein Leid lustig mache. Viele der hier beschriebenen Probleme kommen aus konkreten Lebensgeschichten, bei denen wir – der Patient und ich – durch das Verlachen des Symptoms eine neue innere Freiheit geschaffen haben. Wer über sich lachen kann, der nimmt sich nicht mehr selber so fürchterlich ernst. Angst und Enge können sich lösen. Das Symptom wird entmachtet. Humor schafft Freiheit, weil er Selbstdistanz ermöglicht.
Alle 45 in diesem Buch beschriebenen Fälle sind authentisch. Allerdings sind sie ausnahmslos in den biographischen Daten zum Patientenschutz so verändert, dass ein Erkennen und Identifizieren unmöglich ist. Manchmal wurden aus diesem Grund zwei oder mehr ähnliche Schicksale in eine Geschichte verpackt. Die Fälle stellen meist keine psychodynamische Entwicklung dar, sondern eine Momentaufnahme zur Veranschaulichung des im Fließtext theoretisch Abgehandelten. Damit sind die Fälle auch nicht als Therapieberichte zu verstehen. In Fall 30 mischt sich ein von Michael Linden publizierter Fall mit einem österreichischen Schicksal, Fall 29 ist wie bezeichnet zur Gänze übernommen, Fall 13 ist ein öffentlich bekannter Fall aus den USA, der deswegen auch mit Realnamen beschrieben wird.
In all diesen Fällen geht es um ernste Fragen. Wie gehen wir mit Schuld und mit unseren Schuldgefühlen um? Wie mit erlittenem Unrecht? Was ist die gesündeste Weise, mit Verletzungen und Demütigungen zurechtzukommen? Ziehen wir uns in die innere Emigration zurück? Gehen wir zum Therapeuten? Oder zum Seelsorger? Und was sollen die dann mit uns machen? Sind Groll, Verbitterung oder Rache unausweichliche Reaktionen, um damit psychisch fertigzuwerden? Ist Verzeihung möglich? Sind wir von unserem Temperament oder gar von neurobiologischen Mechanismen derart determiniert, dass von wirklicher Freiheit in unseren Gedanken und in unserem Tun gar keine Rede sein kann? Dieses Buch versucht Antworten auf all diese Fragen. Es handelt deshalb von der Schönheit der menschlichen Freiheit, die wir trotz unserer Schwäche haben, von der Verantwortung, die wir für unser Handeln tragen, und von der überwältigenden Möglichkeit, unsere Fehler einzugestehen und wiedergutzumachen. Die Schuldannahme bewirkt einen Freiheitsgewinn und macht durch laufende Kurskorrektur ein geglücktes Leben möglich. Das Buch handelt schließlich von der Wende des Herzens – weg von der Selbstbeweihräucherung hin zum Du und damit zu einem sinnvollen und geglückten Leben.
Teil I
Die Schuld als Problem
1. Kapitel
Warum es so schmerzhaft ist, Mist zu bauen
Heinrich Faust auf der Couch
J eder baut mitunter Mist, macht Fehler und lädt Schuld auf sich. Das ist ein steter schmerzhafter Stachel im Fleisch, der zum menschlichen Leben gehört. Nur Tiere werden nicht schuldig und machen auch keine Fehler. Deshalb ist der geglückte oder missglückte Umgang des Menschen mit seiner Schuld ein dominantes Thema der Weltliteratur und der Kunst. Schuld und Sühne ist ein Thema in der Geschichte, in der Politik und in der Wirtschaft. Schuld und Sühne ist ein Thema in der Rechtsprechung und in der Philosophie. Schuld (und selten auch Sühne) ist ein Thema der
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