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Selbs Betrug

Selbs Betrug

Titel: Selbs Betrug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Schlink
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weil sie heiraten möchte und ich nicht. Oder jedenfalls noch nicht. Sie sagt dann, daß ich mit meinen neunundsechzig Jahren nicht jünger werde, ich sage, daß man nie jünger wird, und sie sagt, daß ich Unsinn rede. Wo sie recht hat, hat sie recht. Also verstumme ich verstockt. Als wir zwischen den vielen Mercedes, BMW und sogar zwei Jaguars und einem Rolls-Royce geparkt hatten, ich um das Auto herumgegangen war und ihr die Tür aufgemacht hatte, war sie schön und abweisend ausgestiegen.
    Sie standen an der Brüstung der Terrasse, Philipp mit Füruzan und Eberlein, bei dem sich eine junge Frau eingehängt hatte.
    »Gerd!« Füruzan gab mir auf beide Backen einen Kuß, Philipp drückte meinen Arm.
    Eberlein stellte mich seiner Frau vor und nahm rasch das Heft in die Hand. »Laßt uns ein bißchen allein, Kinder, wir alten Herren haben miteinander zu reden.«
    Er lenkte mich zu einem Tisch. »Sie kommen, um mit mir zu sprechen, und was soll ich Sie auf die Folter spannen. Sie haben in der Anstalt nach einer jungen Dame geforscht und nichts erfahren, außer daß sie bei uns Patientin war. Wendt hat Sie mit irgendeiner Geschichte abgespeist, und ich bin ins Philosophieren gekommen. Nun wollen Sie mich auf neutralem Boden ein wenig aushorchen. Ist schon recht, ist schon recht.« Er hatte wieder sein gemütliches Lachen, war ganz Harmlosigkeit. Er nahm eine Zigarette an, lehnte das Feuer ab und drehte das weiße Stäbchen zwischen den Kuppen von Daumen und Mittelfinger, während ich rauchte. Seine dicken Finger vollführten die Bewegung ganz zärtlich.
    »Aushorchen – meinethalben können wir’s so nennen. Da erzählt mir ein junger Arzt Ihrer Anstalt, eine Patientin, die ich im Auftrag ihres Vaters suche, sei aus dem Fenster gestürzt und gestorben. Niemand sonst weiß von diesem Unfall. Ich soll mir keinen Bären aufbinden lassen, sagt ein Mitarbeiter Ihrer Anstalt, als ich ihm berichte, was ich gehört habe. Als er erfährt, von wem ich es gehört habe, will er nichts gesagt haben. Dann höre ich von Pannen und Unfällen im Psychiatrischen Landeskrankenhaus, und Sie erzählen mir von Infekten und Infarkten, Viren und Bakterien. Ja, ich bin für jede Aufklärung dankbar.«
    »Was wissen Sie über Psychiatrie?«
    »Ich habe einiges gelesen. Vor Jahren war ein Freund von mir im Psychiatrischen Landeskrankenhaus, und ich habe gesehen, wie es damals zuging und daß sich seitdem vieles verändert hat.«
    »Und was wissen Sie von der Verantwortung und Belastung psychiatrischer Arbeit? Von den Sorgen, die man nicht mit dem weißen Kittel in den Spind hängen kann, die einen nach Hause begleiten, in den Schlaf verfolgen und am nächsten Morgen beim Aufwachen erwarten? Was wissen Sie davon? Sie mit Ihren Scherzen über Viren, Bakterien, Infekte und Infarkte …«
    »Aber Sie haben doch …« Ich kam nicht mit. Oder, dachte ich, ist’s mit den Psychiatern wie mit den Feuerwehrmännern, die verkappte Brandstifter, und den Polizisten, die verkappte Verbrecher sind? Ich sah ihn verwirrt an.
    Er lachte und klopfte mehrmals vergnügt mit dem Stock auf den Boden. »Kann man mit einem derart leicht zu lesenden Gesicht Privatdetektiv sein? Aber keine Bange, ich verwirre Sie nur ein bißchen, damit Sie die Verwirrungen besser verstehen, zu denen Sie mich befragen.« Er lehnte sich zurück und ließ sich Zeit. »Seien Sie nicht zu streng mit dem jungen Wendt, fassen Sie ihn nicht zu hart an. Er tut sich nicht leicht. Dabei kann er einmal ein guter Arzt werden.«
    Jetzt brauchte ich Zeit, ehe ich weiterreden konnte. »Hart anfassen – ich wollte ihm davor noch eine Chance geben.« Ich hatte keine klare Vorstellung davon, wovon ich redete. Natürlich war mir durch den Kopf gegangen, Nägelsbach von Wendts Verhalten zu erzählen oder jemandem von der Ärztekammer oder von der zuständigen kassenärztlichen Einrichtung. Aber ich sah nicht, was ich davon haben würde. Wendt mochte Ärger dadurch bekommen, und so konnte ich versuchen, ihn mit der entsprechenden Drohung unter Druck zu setzen. Aber da war auch noch das Problem, daß Leo von der Suche nichts merken sollte und ich nicht wußte, ob sich das beim Wahrmachen der Drohung vermeiden lassen würde.
    »Natürlich war es töricht von Wendt, einen tödlichen Unfall zu erfinden. Aber stellen Sie sich vor, Sie sind engagierter Therapeut, erkennen die Beziehung zwischen Ihrer Klientin und deren Vater als Problemfokus, arbeiten daran, haben Erfolge, Rückschläge und schließlich den

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