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Selbs Betrug

Selbs Betrug

Titel: Selbs Betrug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Schlink
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Durchbruch, bringen Ihre Klientin auf einen guten Weg. Da kommen auf einmal Sie, und in Ihnen droht der Vater – Wendt hat einfach die nächste dumme Lüge genommen, um Sie abzuwimmeln und seine Klientin abzuschirmen.«
    »Und wo ist sie?«
    »Herr Selb, ich weiß es nicht. Ich weiß auch nicht, ob sich die Geschichte so zugetragen hat, wie ich sie Ihnen erzählt habe. Ich habe sie Ihnen erzählt, damit Sie verstehen, was einen Arzt wie Wendt dazu bringen kann, törichte Geschichten zu erfinden.«
    »Es kann also auch ganz anders gewesen sein?«
    Er überging meine Frage. »Ich habe das Mädchen gemocht, unter dem depressiven Rauhreif ein fröhliches Geschöpf und überdies aus gutem Stall. Ich hoffe, sie schafft’s.« Er sann vor sich hin. »Wie auch immer – jetzt habe ich meine Frau lange genug vernachlässigt. Kommen Sie!«
    Er stand auf, und ich folgte ihm. Inzwischen hatte die Band zu spielen und hatten die Paare sich zu drehen begonnen. Kein Durchdrängen, kein Durchschlängeln – vor Eberlein wichen Stehende wie Tanzende unaufgefordert zur Seite. Wir fanden die anderen, und ich tanzte mit Frau Eberlein, nachdem er mit dem Stock an sein Holzbein geklopft und mich auffordernd angeschaut hatte, mit Füruzan und mit einer Frau, die mich bei der Damenwahl ansprach und um Hauptesgröße überragte. Um halb zwölf wurden mir die Menschen zuviel, der Raum zu klein, die Musik zu laut.
    Ich fand Brigitte auf der Terrasse. Sie flirtete mit einem Niemand in türkisem Anzug und mit öliger Locke.
    »Ich gehe. Kommst du mit?«
    Sie blieb. Ich fuhr nach Hause. Um halb sieben klingelte es, und Brigitte stand mit frischen Brötchen in der Tür. Ich habe sie nicht gefragt, woher sie kam. Über dem Frühstück wollte ich um ihre Hand anhalten, aber als sie aufstand und die Eier vom Herd nahm, trat sie Turbo auf den Schwanz.

16
Breiter, gerader, schneller
    Der Groschen fiel nach dem Mittagessen. Ich war im Herschelbad ein paar Bahnen geschwommen, wegen meines Rückens, und hatte auf dem Heimweg vom Markt Giovanni in der Tür zum Kleinen Rosengarten stehen sehen.
    Ich begrüßte ihn. »Kollega zurück? Nix mehr Mamma mia und Sole mio?« Aber er mochte unser Deutscher-unterhält-sich-mit-Gastarbeiter-Spiel heute nicht spielen. Er hatte von Haus und Hof in Radda zu erzählen und tat sich dabei in seinem flüssigen Deutsch leichter als in unserem holprigen Kauderwelsch. Dann brachte er mir das Essen, das wieder stimmte; er selbst hatte am Morgen auf dem Großmarkt und im Schlachthof eingekauft, das Kalbsschnitzel war saftig und die Sauce aus frischen Tomaten püriert und mit frischem Salbei gewürzt. Espresso und Sambuca kamen unaufgefordert.
    »Zählen Sie auf italienisch?« Giovanni stand mit Block und Stift neben meinem Tisch und rechnete zusammen.
    »Sie meinen, obwohl ich gut Deutsch spreche? Ich glaube, beim Zählen fallen alle in ihre Vatersprache zurück. Obwohl Zahlen eigentlich nicht schwer sind.«
    Ich dachte an das Au-pair von die Hopfen-Familie. Eins, zwei, drei … zwanzig Schlümpfe hatte sie gezählt. Auf deutsch, trotz ihres dicken Akzents und obwohl sie die Familie nicht deklinieren konnte. Brigittes Sohn Manu, der lange bei seinem Vater in Brasilien gelebt hat, inzwischen aber ein ordentliches Mannheimerisch spricht, läßt sich dadurch, daß ich ihm bei den Haus- und Rechenaufgaben helfe, vom Zählen auf portugiesisch nicht abhalten. Aber hatte Lea nicht für die streitenden Kinder Beweis erhoben?
    Ich wollte sie sehen. Nur wußte ich nicht mehr, wo ich mein Auto geparkt hatte. Beim Herschelbad? Am Marktplatz? Zu Hause? Es ist traurig, den detektivischen Spürsinn zur Kompensation der eigenen Altersdefizite gebrauchen zu müssen. Das Etikett auf dem Shampoo half weiter. Es stammte aus einer Drogerie in der Neckarstadt. Mir fiel ein, daß ich nach dem Frühstück Brigitte in ihre Wohnung in der Max-Joseph-Straße gefahren, dort das Shampoo gekauft hatte und über die Kurpfalzbrücke ins Herschelbad gelaufen war.
    Ich holte das Auto, fuhr über die Autobahn nach Heidelberg und am Neckar entlang bis Eberbach. Ich hatte nicht gewußt, daß die B 37 überall im Ausbau ist, breiter, gerader und schneller wird und bei Hirschhorn sogar den Berg untertunnelt. Wird sie eines Tages Autobahnformat haben? Wird eines Tages statt der würdigen Viadukte aus Sandstein, auf denen der Großherzog die Eisenbahn über die Schluchten des Odenwalds geführt hat, die Trasse einer Magnetbahn ihre Schneise durch Wald und Flur und

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