Selbs Betrug
bei der Reichsbahn, unter Hinweis auf deren Schienenstränge widerlegt.
Ich schrieb die drei Telephonnummern ab. Im Bücherregal fand ich ein Photoalbum, das Wendts Kindheit und Jugend dokumentierte. Im Badezimmer hatte er das Photo eines nackten Mädchens an den Spiegel geklemmt. Unter dem Spiegel lag ein Päckchen mit Präservativen.
Ich gab auf. Was immer Wendt verbarg – seine Wohnung gab es nicht preis. Ich stand noch ein paar Minuten bei Frau Kleinschmidt zwischen den Erdbeeren. Ich zeigte ihr Leos Bild und erzählte, wie glücklich meine Frau und ich seien, daß unser Sohn diese nette junge Frau gefunden habe. Sie kannte Leo nicht.
14
Zwanzig Schlümpfe
Im Büro lag der Umschlag mit Salgers weiterer Abschlagszahlung. Es waren wieder fünfzig Hundertmarkscheine. Ich rief Salgers Anrufbeantworter an, bestätigte den Eingang und erzählte, daß Leo im Psychiatrischen Landeskrankenhaus gewesen sei, daß sie es wieder verlassen habe und daß ich mehr noch nicht wisse.
Dann rief ich die Telephonnummern an, die Wendt notiert hatte, eine Münchener, eine Mannheimer und eine, die mir die Auskunft als Amorbacher Nummer identifizierte. In München nahm niemand ab, in Mannheim meldete sich das Zentralinstitut für Seelische Gesundheit, und in Amorbach antwortete eine Frauenstimme mit dickem amerikanischem Akzent.
»Hallo, hier bei Dr. Hopfen.« Im Hintergrund lärmten Kinder.
Ich versuchte es einfach: »Ist Herr Dr. Hopfen da? Wir haben in der Mühle isoliert, und ich soll noch mal nachprüfen.«
»Ich höre Sie so schlecht«, die Kinder waren näher und lauter, »wer sind Sie?«
»Selb, Isolationsdienst. Der Keller der Mühle war feucht, und wir haben …«
»Einen Moment, bitte.« Sie hielt die Hand auf den Hörer, aber ich hörte jedes Wort, mit dem die Kinder einander überschrien und das sie dagegenhielt. Dreiundzwanzig Schlümpfe hatte Henner Katrin zum Spielen gegeben, nein, einundzwanzig hatte Katrin von Henner bekommen, und nur achtzehn hatte er von ihr zurückbekommen, nein, neunzehn hatte sie ihm zurückgegeben. »Achtzehn!«
»Neunzehn!«
»Siebzehn!« Lea erhob Beweis. »Eins, zwei, drei … zwanzig. Zwanzig Schlümpfe habt ihr, und das ist mehr, als du gezählt hast, und du hast mehr als genug.« Zwanzig – das brachte die Kinder erst einmal in Verwirrung und zum Schweigen. »Sie wollen Herrn Dr. Hopfen sprechen, weil Sie in der Mühle wollen? Die Maler sind dort, Sie können ohne Problem in die Keller. Das heißt, jetzt ist Feierabend, aber morgen werden die Maler wieder arbeiten.«
»Vielen Dank. Sie sind aus England?«
»Ich bin aus Amerika, das Au-pair von die Hopfen-Familie.«
Einen Augenblick warteten wir beide, ob der andere noch etwas sagen werde. Dann legte sie wortlos auf. Ich gab der Zimmerpalme Wasser. Mir ging etwas im Kopf herum, aber ich wußte nicht, was.
Philipp rief an: »Ich wollte dich erinnern, Gerd, das Frühjahrsfest im Yachtclub ist morgen abend. Es geht um sieben los, die meisten kommen zwischen acht und neun. Acht ist eine gute Zeit, wenn du Eberlein nicht erst im Trubel suchen willst. Bring Brigitte mit!«
Ich verbrachte den nächsten Tag in der Stadtbücherei und las über Psychiatrie. Ich hoffte, als informierter Gesprächspartner mehr von Eberlein über das Psychiatrische Landeskrankenhaus und darüber zu erfahren, was Wendt dort für, mit oder gegen Leo gemacht hatte und verbarg. Ich lernte die Auflösung der Psychiatrischen Anstalt in Triest und die Reform des Psychiatrischen Landeskrankenhauses in Wunstorf kennen. Ich sah, daß die Veränderungen, die mir im hiesigen Psychiatrischen Landeskrankenhaus aufgefallen waren, Bestandteil einer großen Entwicklung von der verwahrenden zur heilenden Psychiatrie waren. Ich fand geistige Gesundheit als die Fähigkeit definiert, das soziale Spiel gut zu spielen. Geistig krank ist, wen wir nicht mehr ernst nehmen, weil er nicht oder schlecht mitspielt – mir kroch es kalt den Rücken hoch.
15
Porzellan zerschlagen
Yachtclubs, Ruderclubs, Reitclubs, Tennisclubs – ihre Häuser sehen aus, als seien sie, mal mehr und mal weniger aufwendig, von den Angehörigen ein und derselben phantasielosen Architektenfamilie gebaut. Unten die Boots-, Geräte-, Dusch- und Umkleideräume, oben die Halle mit Bar für gesellschaftliche Ereignisse, ein bis zwei Nebenräume und eine Terrasse. Diese ging zum Rhein und zur Friesenheimer Insel.
Bei meinem Weg durch die Halle verlor ich Brigitte. Im Auto hatten wir wieder einmal gestritten,
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