Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Selbs Betrug

Selbs Betrug

Titel: Selbs Betrug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Schlink
Vom Netzwerk:
fand ich Bonn und unter ›Bundesregierung‹ den Bundeskanzler und siebzehn Bundesminister. Ich fing einfach vorne an, mit Bundeskanzleramt und Presse- und Informationsamt. Sie hatten keinen Ministerialdirigenten Salger. Man kannte ihn nicht beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales, nicht bei den folgenden Bundesministerien und auch nicht beim letzten, beim Bundesministerium für Wirtschaftliche Zusammenarbeit. Beim Justizministerium nahm bis viertel nach zehn niemand ab. Dann war die Dame zwar ausgeruht und ausnehmend freundlich, konnte mir aber auch nicht mit einem Ministerialdirigenten Salger dienen. Ich griff zum Telephonbuch Nr. 39 und telephonierte in Düsseldorf die Landesregierung durch. Mir schien immerhin denkbar, daß Salger in Bonn wohnte und in Düsseldorf arbeitete. Aber es gab auch bei keinem Landesminister Nordrhein-Westfalens einen Ministerialdirigenten Salger.
    Ich fuhr in die Städtischen Krankenanstalten. Jetzt wollte ich’s wissen. Wollte meinen Auftraggeber stellen, diesen mysteriösen Ministerialdirigenten ohne Ministerium, Telephoninhaber ohne Telephonbucheintrag, Absender von 5000-Mark-Briefen ohne Anschrift. Ich hatte seine Telephonnummer, und die Post rückt zu einer Telephonnummer den Namen und die Adresse entweder im Wege der Amtshilfe oder bei Notfällen heraus. Ein Arzt, der beim bewußtlosen Patienten nur die Telephonnummer findet und den Namen und die Adresse braucht, kann bei der Post anrufen, sein Begehren vortragen und wird zurückgerufen. Philipp mußte mir amtshelfen.
    Die Oberschwester ließ mich in sein Zimmer, Philipp war noch im OP . Zuerst wollte ich ihn um den Anruf beim Fernmeldedienst Bonn bitten, aber dann beschloß ich, es ihm zu ersparen und selbst zu lügen.
    »Dr. Selb, Städtische Krankenanstalten Mannheim. Wir haben einen Unfallpatienten, bei dem wir keine Papiere finden, nur die Bonner Telephonnummer 41 17 88. Würden Sie mir bitte zu der Nummer den Namen und die Anschrift des Teilnehmers geben?«
    Ich wurde zweimal weiterverbunden. Dann versprach man mir Prüfung und Rückruf. Ich nannte die Nummer von Philipps Apparat. Nach fünf Minuten klingelte das Telephon.
    »Hallo?«
    »Herr Dr. Selb?«
    »Ja.«
    »Der Anschluß 41 17 88, den Sie uns genannt haben, ist auf Helmut Lehmann zugelassen …«
    »Lehmann?«
    »Ludwig, Emil, Heinrich, Marta, Anton, Nordpol, Nordpol, Niebuhrstraße 46a in Bonn 1.«
    Ich machte die Gegenprobe, rief bei der Telephonauskunft Inland an und bat um die Telephonnummer von Helmut Lehmann, Niebuhrstraße 46 a in Bonn 1, und bekam die 41   17   88.
    Es war zwanzig nach zwölf. Ich schlug im Taschenfahrplan nach: Um zwölf Uhr fünf und vierzig fuhr ein Intercity von Mannheim nach Bonn. Ich wartete nicht auf Philipp.
    Um zwölf Uhr vierzig stand ich in der langen Schlange vor dem einzigen besetzten Fahrkartenschalter. Um zwölf Uhr vierundvierzig hatten der gelangweilte Beamte und sein langweiliger Computer vier Fahrgäste bedient, und ich konnte ausrechnen, daß ich vor zwölf Uhr achtundvierzig nicht zu meinem Fahrausweis kommen würde. Ich eilte auf den Bahnsteig. Um zwölf Uhr fünfundvierzig kam kein Zug, auch nicht um sechsundvierzig, siebenundvierzig, achtundvierzig und neunundvierzig. Um zwölf Uhr fünfzig verkündete der Lautsprecher, daß der Intercity 714 Patrizier fünf Minuten Verspätung habe, und um zwölf Uhr vierundfünfzig lief er ein. Es regt mich auf, obwohl ich weiß, daß es heute bei der Bahn nun einmal so zugeht, und obwohl mir Aufregung nicht guttut. Ich habe noch die Reichsbahn erlebt, pünktlich und gegenüber den Fahrgästen von nüchternem, strengem, preußischem Respekt.
    Ich will über das Mittagessen im Speisewagen kein Wort verlieren. Die Fahrt am Rhein ist immer schön; ich mag die Eisenbahnbrücke von Mainz nach Wiesbaden, das Niederwald-Denkmal, die Pfalz bei Kaub, die Loreley und die Festung Ehrenbreitstein. Um vierzehn Uhr fünfundfünfzig war ich in Bonn.
    Ich will auch über Bonn kein Wort verlieren. Eine Taxe brachte mich zur Niebuhrstraße 46 a. Das schmale Haus war, wie die meisten Häuser der Straße, ein Produkt der Gründerzeit mit Säulen, Kapitellen und Friesen. Im Erdgeschoß war neben dem Eingang ein winzig kleiner Laden, in dem nichts mehr auslag und verkauft wurde. »Kurzwaren« kündete die blasse schwarze Schrift auf dem grauen Milchglas über dem Eingang. Ich ging die Namen auf dem Klingelschild durch: kein Lehmann.
    Ich fand Lehmann auch nicht auf den Klingelschildern von

Weitere Kostenlose Bücher