Selbs Betrug
Berg und Tal schlagen? Wird in Ernsttal eines Tages der Club Méditerranée den verwunschenen Komplex aus altem Gasthaus, Jagdhaus und stillgelegter Fabrik übernehmen? Dort, an der Straße von Kailbach nach Ottorfszell, sind die Bäume am grünsten und ist der Sandstein am rötesten und schmeckt das Bier auf der schattigen Terrasse wie ambrosischer Nektar. Warum muß es nachmittags immer Kaffee und Kuchen sein? Ich aß ein Wiener Schnitzel zum Bier und einen Salat, dessen Sauce nicht aus der Flasche kam, und blinzelte in die Sonnenstrahlen, die durchs Blätterdach brachen.
In Amorbach stieß ich am Marktplatz auf die Praxis von Dr. Hopfen und auf einen Patienten, der mir den Weg zum Privathaus wies. »Am Bahnhof vorbei, über die Bahngleise rüber und zum Hotel Frankenberg hoch. Sie fahren immer dem Schild ›Sommerberg‹ nach. Dem Doktor sein Haus ist das letzte links vor der Hotelzufahrt.«
Als ich das enge und steile Sträßlein geschafft und in der Hotelzufahrt gewendet hatte, machte gerade ein kleines Mädchen vor dem Haus Hopfen das Zauntor auf, ließ einen Rover heraus, machte das Zauntor wieder zu und hüpfte in den Wagen. Zwei weitere Kinder tollten auf den Rücksitzen, eine Frau saß am Steuer. Ein paarmal starb der Motor ab, und ich sah mich um: Obstbäume am Hang, das Baustofflager im Tal und hinter der Bahnlinie die Kirche von Amorbach mit den zwei Zwiebeltürmen. Dann ging’s zurück ins Städtchen. Vor der Abtei ließen die vielen Touristenautos gerade noch einen Parkplatz für den Rover und einen für meinen Kadett.
Ich folgte der Frau und den drei Kindern zu Fuß zum Marktplatz. Dabei war ich noch nicht sicher. Aber dann gingen sie in die Praxis, und als sie wieder herauskamen, hatte ich sie voll im Blick, und es blieb kein Zweifel. Die junge Frau war Leo. Leo mit rosa Sonnenbrille, wasserstoffsuperoxydblondem Lockenkopf und kariertem Männerhemd über den Jeans. Was sie tun konnte, um wie ein Au-pair-Mädchen aus dem mittleren Westen Amerikas auszusehen, hatte sie getan.
Ich folgte Leo und den Kindern. Sie kauften in der Metzgerei und im Käseladen ein, und während den Kindern beim Friseur die Haare geschnitten wurden, stöberte Leo in der Buchhandlung gegenüber. Bevor sie ins Auto stiegen und nach Hause fuhren, schauten sie in der Kirche mit den Zwiebeltürmen vorbei. Auch ich trat ein und freute mich an dem hellen, weiten Raum und an den Klängen der Orgel, auf der gerade der Organist übte. Im Kirchenschiff wurde Sankt Sebastian mit Pfeilen beschossen und von Irene geborgen. In der letzten Reihe kniete Leo mit den Kindern. Das kleine Mädchen guckte in der Kirche umher, und die beiden Buben ließen Kaugummiblasen knallen. Leo stützte die Hände auf die Lehne und den Kopf auf die Hände und sah ins Leere.
17
Im Wege der Amtshilfe
Um halb fünf war ich wieder in Mannheim. Ich war auf der Fahrt nicht dahintergekommen, was ich von allem halten sollte. Ich wollte mit Salger reden, nicht am Telephon und schon gar nicht über den Anrufbeantworter. Er mußte mehr wissen, als er mich bislang hatte wissen lassen.
Ich fuhr geradewegs in die Max-Joseph-Straße. Brigitte begrüßte mich, als hätten wir nie Streit gehabt. Wir hielten uns in den Armen, sie fühlte sich gut an, warm und weich, und ich ließ sie erst los, als Manu eifersüchtig an uns zerrte.
»Geht doch mit Nonni los«, schlug sie vor, »und kommt um halb acht wieder. Ich mache meine Steuererklärung fertig und koche, um halb acht ist der Sauerbraten fertig.«
Nonni ist Manus Hund, ein winziges Geschöpf, ein Suppenhund. Manu nahm ihn an die Leine, und wir machten den großen Stadtspaziergang, Neckarufer, Luisenpark, Oststadt und Wasserturm. Es ging nur langsam voran. Ich bin sonst skeptisch, was Evolution und Fortschritt angeht. Aber daß bei uns Menschen erotische Ausstrahlung nicht mehr über das Beschnüffeln von Baumstämmen und Hausecken funktioniert, ist zweifellos ein evolutionärer Fortschritt.
Von Brigitte aus rief ich bei Salger an. Der Anrufbeantworter war nicht eingeschaltet. War Salger also wieder in Bonn? Das Telephon klingelte lange vergebens. Ich versuchte es um neun und um zehn noch mal, und wieder nahm niemand ab.
Auch am Sonntag und selbst am Montagmorgen um acht waren meine Versuche umsonst. Um neun brachte ich Manu in die Schule und Brigitte in ihre Massagepraxis im Collini-Center und fuhr weiter zur Hauptpost. Wenn Salger zurück in Bonn war, war er wohl auch wieder bei der Arbeit. Im Telephonbuch Nr. 53
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