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Selbs Betrug

Selbs Betrug

Titel: Selbs Betrug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Schlink
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böse an. Dann lachte er wieder und schüttelte den Kopf. »Törichter alter Mann …«
    Ich schmeckte Blut auf der Lippe.
    »Also los. Wo ist Leo?«
    »Ich weiß nicht. Ich habe ein paar Ideen, aber mehr nicht. Nur ein paar Ideen. Ich weiß nicht, wo Leo ist.«
    »Es ist drei Tage her, daß wir miteinander telephoniert haben. Haben Sie seitdem vergessen, wo Leo ist?« Er klang verwundert und spöttisch.
    »Ich habe das damals nur so als Köder gesagt, ich habe natürlich nicht vergessen, wo Leo ist, ich habe es nie gewußt. Nur so als Köder, verstehen Sie? Mir war unheimlich, daß ich Sie nie zu sehen bekam.«
    »Halten Sie mich für blöd oder was?« Er schrie, und die Stimme kippte. Doch gleich wurde er wieder ruhig, lächelte und schüttelte den Kopf. Er stand auf, trat vor mich und wartete, bis ich zu ihm aufsah. Dann schlug er wieder mit der Pistolenhand zu, einfach so. Der Schmerz schrammte über Backe und Kinn.
    Er verlor nicht die Beherrschung, wenn er schrie. Er schrie kühlen Kopfs. Ich hatte Angst. Ich hatte keine Ahnung, was …
    Es klingelte. Wir hielten beide den Atem an. Es klingelte ein zweites und drittes Mal. Es klopfte. »Gerd, mach auf, warum machst du nicht auf, was ist los?« Brigitte sah das Licht unter der Tür hervorschimmern.
    Mein Gast zuckte mit den Achseln. »Also auf ein andermal.« Dann war er aus dem Zimmer. Ich hörte ihn die Wohnungstür öffnen, »Guten Abend« sagen und schnellen Schritts die Treppe hinabgehen.
    »Gerd!« Brigitte kniete sich neben mich aufs Sofa und nahm mich in die Arme. Als sie mich losließ, war ihre Bluse blutig. Ich wollte das Blut abwischen, aber es ging nicht. Je verzweifelter ich mit den Händen über ihre Bluse fuhr, desto schlimmer wurde die blutige Schmiererei. Ich gab’s auf.

25
Vergiß das Katzenklo nicht!
    Nachdem Brigitte mir das Gesicht gewaschen und die Wunde versorgt hatte, brachte sie mich zu Bett. Das Gesicht brannte, sonst war mir kalt. Manchmal schlugen die Zähne aufeinander. Trinken klappte nicht recht; die geschwollene Lippe hielt die Flüssigkeit nicht. In der Nacht kam Fieber.
    Ich träumte von Leo und von Eberlein. Die beiden gingen zusammen spazieren, und ich übergab ihnen eine amtliche Urkunde, die ihnen verbot, wie Vater und Tochter zusammen spazierenzugehen. Eberlein lachte sein gemütliches Lachen und legte den Arm um Leo. Sie drängte sich an ihn und streifte mich mit schamlosem, verächtlichen Blick. Ich wollte erläutern, daß sie nicht nur nicht wie Vater und Tochter, sondern erst recht nicht so … Da pfiff Eberlein, und Anatol oder Iwan stürzte sich auf mich; er hatte zu Eberleins Füßen gekauert und auf den Pfiff gewartet.
    Als ich wieder einschlief, führte Nägelsbach mich in eine Stadt. Die Häuser waren aus Holz und auch die Straßen und Bürgersteige. Außer uns war keine Menschenseele unterwegs, und wenn ich einen Blick in ein Haus tun konnte, zeigte es sich als leerer Raum ohne Zimmer oder Geschosse. Nägelsbach lief so schnell, daß ich zurückblieb. Er drehte sich um, winkte und rief, aber ich konnte ihn schon nicht mehr hören. Dann war er weg, und ich erkannte, daß ich aus dem Gewirr leerer Straßen und leerer Häuser nie mehr herausfinden würde. Ich merkte, daß ich in einer Nägelsbachschen Streichholzstadt war; ich war winzig klein, nicht größer als ein Uhrzeiger oder ein Gummibärchen. Ist kein Wunder, dachte ich, daß mir so kalt ist, wenn ich so klein bin.
    Brigitte füllte die Wärmflasche und häufte Decken aufs Bett. Am Morgen war ich schweißnaß, und das Fieber war gesunken.
    An Rasieren war nicht zu denken. Immerhin brachen die verkrusteten Striemen über Backe, Lippen und Kinn nicht auf, als ich die Zähne putzte. Ich sah verwegen aus und verzichtete auf die Krawatte. Auf dem Balkon schien die Sonne, ich schlug den Liegestuhl auf und legte mich hinein.
    Wie würde es weitergehen? Ich hielt Salger für gescheit. Er hatte ein großes Repertoire von Gesichtern, Stimmlagen, Ausdrucks- und Verhaltensweisen. Wie er sich dessen bediente, hatte etwas Spielerisches, und unsere Begegnungen erinnerten mich an Konfrontationen über dem Schachbrett. Nicht die Schachabende mit Eberhard, bei dem ich nicht auf Sieg hoffe, an Sieg nicht einmal denke, sondern mich der Schönheit seiner Kombinationen und unseres Zusammenseins freue. Sondern Schachkämpfe, wie ich sie früher mit dem festen Willen, den anderen zu schlagen, geführt habe. Schachkämpfe wie Säbelduelle, bei denen es den anderen zu vernichten

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