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Selbs Betrug

Selbs Betrug

Titel: Selbs Betrug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Schlink
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Herr Selb, meine Hilfe. Ich kenne Leo, und ein bißchen kenne ich auch die«, er zögerte, »die Umstände, in die Leo hineingeraten sein könnte.«
    »Was für Umstände?«
    »Einiges wissen Sie, einiges mögen Sie vermuten – das reicht. Ich bin nicht gekommen, um Auskunft zu geben, sondern um welche einzuholen. Wo ist Leo?«
    »Ich verstehe noch immer nicht, was Sie von ihr oder mit ihr wollen. Warum Sie mich belogen haben, haben Sie mir auch noch nicht erklärt. Sie haben sich noch nicht einmal vorgestellt. Herr Salger? Nein, daß Sie nicht Herr Salger sind, wissen wir. Herr Lehmann? Der Enkel, der eine Galerie aufmachen will, wo die Großmutter kaum die Knöpfe und Garne unterbringen konnte? Und was soll ich über Leos fatale Umstände wissen oder vermuten? Ich habe Ihre Lügen und Manöver satt. Ich bin nicht anspruchsvoll, was das Ausmaß des Vertrauens zwischen meinen Auftraggebern und mir angeht. Ich verlange keine rückhaltlose Offenheit. Aber Sie sagen jetzt entweder, was Sache ist, oder wir gehen zur Badischen Beamtenbank, und Sie nehmen Ihre zehntausend, und wir sehen uns nicht wieder.«
    Zuerst kniff er die Augen zusammen. Dann hob er die Brauen, seufzte, lächelte und sagte: »Aber Herr Selb.« Seine Hand griff in die Jacke, kam mit einer Visitenkarte wieder hervor und legte sie vor mich auf den Tisch. Helmut Lehmann, Anlageberatung, Beethovenstraße 42, 6000 Frankfurt am Main 1. »Ich möchte mit Leo sprechen. Ich möchte sie fragen, ob und wie ich ihr helfen kann. Ist das so schwer zu verstehen? Und was soll das hohe Roß?« Seine Augen wurden wieder schmal, seine Stimme leise und scharf. »Sie haben, ohne viel zu fragen, meinen Auftrag und mein Geld angenommen. Viel Geld. Ich bin auch bereit, Ihnen eine Prämie zu geben, sagen wir noch mal fünftausend, für den erfolgreichen Abschluß des Auftrags. Mehr gibt’s nicht. Wo ist Leo?«
    Ich weiß auswendig, was Spiegeleier und zwei Kännchen Kaffee bei Fieberg kosten. Ich wartete nicht auf die Bedienung, legte das Geld auf den Tisch, stand auf und ging.

23
Dem Knaben gleich, der Disteln köpft
    Am Abend war ich bei Nägelsbach im Atelier, dem ehemaligen Schuppen seines alten Pfaffengrunder Siedlungshäuschens. Er hatte mich angerufen. »Ich hab was über Wendt.«
    Draußen war es noch hell, aber über der Arbeitsplatte brannte schon die Neonleuchte. »Das wird nicht das Pantheon.« Das knorrige Gebilde, das auf der Arbeitsplatte wuchs, mochte eine geballte Faust, ein Baumstrunk oder ein Felsbrocken werden, aber kein Kuppelbau.
    »Sie sagen es, Herr Selb. Ich habe viel nachgedacht. Schon früher hätte ich weniger drauflosbauen und mehr nachdenken sollen. Die Architektur war ein Irrweg. Kölner Dom, Empire State Building, Lomonossow-Universität im maßstabsgetreuen Streichholzmodell – Kindereien. Ich war dem Knaben gleich, der Disteln köpft.« Er schüttelte bekümmert den Kopf. »Und ich habe Angst, daß ich mich darin verausgabt habe.«
    »Statt was zu machen?«
    Er nahm die Brille ab, setzte sie wieder auf. »Erinnern Sie sich an meine Versuche mit den betenden Händen und mit dem Goldhelm? Das war der richtige Weg, grundsätzlich, und falsch war nur, daß ich zum Vorbild das Gemälde genommen habe. Wo doch die Streichholzskulptur ihr natürliches Vorbild in der Holz-, Stein- oder Bronzeskulptur hat. Kennen Sie den Kuß von Rodin?«
    An der Wand, auf wohl zwanzig Photos, aus den verschiedensten Perspektiven aufgenommen, saßen zwei nebeneinander und küßten sich, sie mit dem Arm um seinen Hals, er mit der Hand auf ihrer Hüfte. »Ich habe auch ein Modell bestellt, aus Ruca gegossen und mit Bronze patiniert, natürlich eine ganz andere Vorlage als die Photos.« Er sah mich an, als warte er auf meinen Beifall. Ich wich in eine Frage nach seiner Frau aus. Es war das erste Mal, daß ich ihn im Atelier besuchte, ohne sie im Sessel und mit einem Buch anzutreffen. Seit Jahren las sie ihm beim Arbeiten vor. Statt einer Antwort auf meine Frage drückte er eine Klingel. Nach kurzem, verlegenen Warten kam Frau Nägelsbach. Sie begrüßte mich herzlich, aber befangen. Offensichtlich war aus seiner Schaffenskrise eine Ehekrise geworden. Frau Nägelsbachs Rundlichkeit hatte die fröhlichen Pausbacken verloren.
    »Wollen wir nicht raus?«
    Er griff drei zusammengefaltete Klappsessel, und wir setzten uns unter den Birnbaum. Ich fragte nach Wendt.
    »Was ich weiß, liegt lange zurück. Vor Jahr und Tag gehörte Rolf Wendt zum SPK , zum Sozialistischen

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