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Selbs Betrug

Selbs Betrug

Titel: Selbs Betrug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Schlink
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Patientenkollektiv, wir wissen nicht genau, ob zum kleinen Kreis um Dr. Huber oder zu den vielen, die eher neugierig waren als wirklich beteiligt. Er hatte damals einen Unfall, ohne Fahrerlaubnis und mit gestohlenem Wagen, und die Beifahrerin, auch vom SPK , ist bald danach untergetaucht und zur RAS gegangen. Er war erst siebzehn, die Eltern und die Lehrer haben sich sehr für ihn verwandt, und so hatte er richtigen Ärger erst bei der Einstellung im Psychiatrischen Landeskrankenhaus vor zwei Jahren. Da wurde geredet, er sei Terrorist, und man ist der alten Geschichte noch mal nachgegangen.«
    Ich erinnerte mich; 1970 und 1971 waren die Zeitungen voll von Berichten über Dr. Huber, der an der Psychiatrisch-Neurologischen Universitätsklinik Heidelberg beschäftigt war, entlassen wurde, seine Patienten mobilisiert und als SPK organisiert, Räume von der Universität erkämpft und darin die Revolution vorbereitet hatte. Revolution als Therapie. 1971 war alles vorbei, wurden Dr. Huber und seine Frau festgenommen und zerstreuten sich die Patienten in alle Winde. Bis auf die paar, die zur RAF gingen. »Seit damals war mit Wendt nichts mehr?«
    »Nichts. Warum interessieren Sie sich für ihn?«
    Ich berichtete von meiner Suche nach Leo in Heidelberg und Mannheim und schließlich im Psychiatrischen Landeskrankenhaus, von Wendts dummen Lügen und meinem mysteriösen Auftraggeber.
    »Wie heißt die junge Frau mit Nachnamen?«
    »Salger.«
    »Leonore Salger aus Bonn?«
    Ich hatte Bonn noch gar nicht erwähnt. »Ja, woher …«
    »Und Sie wissen, wo sich Frau Salger derzeit aufhält?« Sein Ton wurde amtlich und inquisitorisch.
    »Was ist los? Warum wollen Sie das wissen?«
    »Herr Selb, wir suchen Frau Salger. Ich kann Ihnen nicht den Grund sagen, aber Sie können mir glauben, eine Bagatelle ist’s nicht. Also los!«
    In den vielen Jahren unserer Freundschaft war uns immer bewußt, daß er Polizist ist und ich Privatdetektiv bin. In gewisser Weise hat unsere Freundschaft davon gelebt, daß wir in verschiedenen Rollen beim selben Stück mitspielen. Allerdings hat er mich nie wie irgendeinen Zeugen behandelt, und ich habe mit ihm die Tricks nie versucht, mit denen ich von den Leuten erfahre, was sie nicht sagen wollen. Nur weil die Fälle nicht so wichtig gewesen waren? Und jetzt war’s ein wichtiger Fall? Mir lag eine scharfe Antwort auf der Zunge, aber ich schluckte sie hinunter. »Nein, ich weiß nicht, wo Frau Salger derzeit zu finden ist.«
    Er war nicht zufrieden, bohrte weiter, und ich wich weiter aus. Der Ton zwischen uns wurde immer gereizter, und Frau Nägelsbach sah immer alarmierter vom einen zum anderen. Sie versuchte mehrmals vergeblich zu begütigen. Dann stand sie auf, ging ins Haus, kam mit Wein und Gläsern zurück und unterbrach: »Jetzt will ich kein Wort mehr über diesen Fall und diese Frau hören, kein einziges Wort. Wenn du nicht aufhörst«, sie wandte sich zu ihrem Mann, »sage ich Herrn Selb, was Sache ist, und wenn Sie nicht aufhören«, jetzt war ich dran, »erfährt mein Mann zwar nicht alles, weil ich das auch nicht weiß, aber alles das, was Sie gesagt haben, ohne es sagen zu wollen, und was mein Mann nicht gehört hat, weil er Ihnen nicht mehr zuhört, sondern nur noch empört ist.«
    Wir waren beide still. Dann ging das Gespräch wieder langsam an, über Brigitte und Manu, Urlaub, Alter und Ruhestand. Aber wir waren alle nicht mehr bei der Sache.

24
Marmor, Stein und Eisen bricht
    Auf der Heimfahrt grübelte ich darüber, warum ich Leos Aufenthaltsort eigentlich für mich behalten wollte. War sie das wert? Half es ihr? Sie hatte mit ihrem Vater anscheinend Pech gehabt, und ich zweifelte, daß der falsche Salger ihr Glück brachte, obwohl er mehrfach in ihrem Photoalbum auftauchte, das kleine Gör auf den Knien haltend oder mit der Schaukel stoßend und den Arm um die Schultern des heranwachsenden Mädchens gelegt. Zum väterlichen Freund Salger jetzt noch der Möchtegern-Vater Selb? Ich wußte nicht, wer sie war, was sie gemacht hatte, warum sie sich verbarg. Es war Zeit, zu ihr zu fahren und mit ihr zu reden.
    Als ich in Mannheim ankam, war es erst halb elf, und die laue Nacht lud zum Bummeln ein. Ich ging in den ›Kleinen Rosengarten‹ und trank eine Flasche Soave zu den Vermicelli alla puttanesca, die nicht auf der Karte stehen, die mir der Chef aber macht, wenn er in Laune ist und ich ihn artig bitte. Dann hatte ich einen kleinen Schwips.
    Früher habe ich bis in meine Dachwohnung nur

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