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Selbs Betrug

Selbs Betrug

Titel: Selbs Betrug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Schlink
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gilt, nicht physisch, aber im Selbstbewußtsein.
    Ich erinnerte mich, wie ich mit meinem späteren Schwiegervater, der mich zunächst von oben herab behandelte, einmal einen ganzen Abend so gekämpft habe. »So, du versuchst dich mit Schachfiguren«, hatte er herablassend zu mir gesagt, als er seinen Sohn und mich, wir waren Klassen- und Studienkameraden, über dem Schachbrett antraf. Klärchen stand daneben, und ich konnte das Zittern meiner Erregung kaum verbergen. So vor ihren Augen und Ohren erniedrigt zu werden. »Sie spielen auch?« Ich fragte so gleichmütig, wie ich konnte. Der alte Körten ließ sich von seinem Sohn versichern, daß ich passabel spiele, und bot mir für den nächsten Samstag eine Partie an. Er setzte eine Flasche Champagner als Gewinn aus, und ich mußte versprechen, als Verlierer die Gewehre seiner Sammlung zu reinigen und zu ölen. Bis zum Samstag kannte ich nichts anderes als Schach, arbeitete Eröffnungen durch, spielte Partien nach, fand heraus, wann und wo die Berliner Schachclubs sich trafen. Im ersten und im zweiten Spiel hatte der alte Körten noch eine Chance. Aber er verlor, obwohl ich ihn die Züge zurücknehmen ließ, die er seine dummen Patzer nannte. Dann wußte ich, wie er spielte, und spielte mit ihm. Er hat mich nie mehr zum Schach aufgefordert. Und mich nie mehr herablassend behandelt.
    Salger wollte mit mir spielen? Bitte.
    Turbo sah mich schräg an. Er saß im Blumenkasten, stützte sich auf die Vorderbeine und neigte den Kopf zur Seite.
    »Ist schon gut, Turbo. Schau mich nicht so an. Ich weiß, ich habe den Mund eben zu voll genommen.«
    Er hörte aufmerksam zu. Als ich nicht weiterredete, wandte er sich ab und putzte sich. Mir fiel der gestrige Abend ein, Turbo neben mir auf dem Sofa, Salger mit der Pistole gegenüber. Wie, wenn Salger beim nächsten Besuch schneller zielte und schoß? Ich stand auf und ging zum Telephon. Eberhard? Er ist gegen Katzen allergisch. Brigitte? Nonni und Turbo sind wie Hund und Katz. Philipp? Ich erreichte weder ihn noch Füruzan und erfuhr in der Klinik, daß er auf einem Kongreß in Siena sei. Babs? Sie war zu Hause, saß gerade mit den beiden großen Kindern beim späten Nachmittagskaffee und lud mich gleich ein. »Turbo willst du uns in Pension geben? Klar, bring ihn mit, und vergiß das Katzenklo nicht.«
    Beim Autofahren bekommt Turbo Zustände. Ich hab’s mit Körbchen versucht, mit Halsband und ohne alles. Das Geräusch und das Vibrieren des Motors, der rasche Wechsel der Bilder, die Geschwindigkeit – es ist meinem Kater zuviel. Seine Welt sind die Dächer zwischen Richard-Wagner-Straße, Augustaanlage, Moll- und Werderstraße, die paar Balkone und Fenster, die er über die Dächer erreicht, die paar Nachbarn und Katzen, die hinter den Balkonen und Fenstern leben, Tauben und Mäuse. Wenn ich mit ihm zum Tierarzt muß, nehme ich ihn unter dem Mantel auf den Arm, und er schaut zwischen den Knöpfen hervor, wie ich aus dem Space Shuttle schauen würde. So machten wir auch den langen Weg in die Dürerstraße.
    Babs wohnt in einer großen Wohnung mit Röschen und Georg. Ich finde, die beiden sind alt genug, um auf ihren eigenen Füßen zu stehen. Aber sie strecken sie lieber unter Mamas Tisch. Georg studiert in Heidelberg Jura, und Röschen kann sich nicht entscheiden. Nicht für ein Studium, nicht für eine Ausbildung, nicht für einen Beruf, und auch nicht zwischen ihren Verehrern. Sie hatte gerade zwei so lange hingehalten, bis beide nicht mehr mochten, und war kreuzunglücklich.
    »Waren sie so toll?«
    Sie hatte geweint oder war erkältet, sie schniefte: »Nein, aber …«
    »›Aber‹ gilt nicht. Wenn sie nicht toll waren, dann sei froh, daß du sie los bist.«
    Sie zog den Rotz hoch. »Weißt du einen anderen für mich?«
    »Ich werde suchen. Und meinst du, du kannst dich mittlerweile um Turbo kümmern? Nimm’s als Übung, Männer und Kater, das ist alles dasselbe.«
    Sie lächelte. Sie ist ein Punk mit violett-gelben Haaren, Krokodilklemmen in den Ohrläppchen und einem Chip im Nasenflügel. Aber sie lächelte altmodisch-lieblich. »Der Jonas …«
    »Ist das der eine von den beiden?«
    Sie nickte. »Der Jonas hat eine Ratte, Rudi, die er immer und überallhin mitnimmt. Ich lad ihn zum Abendessen ein, weil er doch gesagt hat, daß wir gute Freunde bleiben wollen, und während er Spaghetti ißt, ißt Turbo Rudi.« Sie schaute verträumt. »Alles klar, Onkel Gerd.«

26
Einfach trotzig
    Zu Hause legte ich mich wieder ins

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