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Selbs Betrug

Selbs Betrug

Titel: Selbs Betrug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Schlink
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andere Herr allein zurückgekommen und weggefahren. Das finde ich auch seltsam.«
    »Sie sind eine gute Beobachterin. Wie sah der andere Herr aus?«
    »Das sagt mein Mann auch. Renate, sagt er, Renate, du bist eine gute Beobachterin. Aber den anderen Herrn habe ich nicht richtig gesehen. Da hinten hat er geparkt, sehen Sie, da hinten, wo jetzt der Ford steht. Und dann der Regen. Bei Regen sind alle Katzen naß. Aber daß er einen Golf fährt, habe ich gesehen.« Sie sagte es eifrig wie ein Kind, das gelobt werden will.
    »Wohin sind die beiden gegangen?«
    »Die Straße runter. Da geht’s zum Neckar, wissen Sie, aber von hier sieht man nicht weit, da kann eines noch so gut beobachten.«
    Ich verzichtete auf Frau Kleinschmidts frisch gebrühten Kaffee und setzte mich ins Auto. Langsam fuhr ich die Straße ab, die am Neckar entlangführt. Häuser, Bäume und Autos waren in den Schleier des Regens gehüllt. Es war erst kurz nach vier, sah aber aus wie frühe Dämmerung.
    Nach einer Weile wurde der Regen schwächer, und schließlich schrammten die Wischerblätter auf der trockenen Scheibe. Ich stieg aus. Ich folgte dem Weg, der durch die Neckarwiesen von Wieblingen nach Edingen führt, am Klär- und am Kompostwerk vorbei und unter der Autobahnbrücke durch. Einmal glaubte ich, ein Kleidungsstück von Wendt zu sehen, stapfte durchs nasse Gras hin und kam mit nassen Füßen zurück. Eigentlich bin ich gerne draußen, wenn nach dem Regen die Erde riecht und die Luft im Gesicht prickelt. Aber diesmal war mir nur klamm.
    Ich fand ihn mit ausgebreiteten Armen und erstarrtem Blick. Über uns rauschte der Verkehr. So, wie er lag, hätte er von der Autobahnbrücke hinabgestürzt und auf den Steinen aufgeschlagen sein können, mit denen man hier beim Bau der Brücke den Boden gepflastert hatte. Aber da war das kleine Loch im hellen Regenmantel, wo ihn die Kugel in die Brust getroffen hatte. Es war von dunklem, fast schwarzem Rot. Im Regenmantel um das Loch herum leuchtete das Rot hell. Es gab nicht viel Blut.
    Neben ihm, als sei sie seiner Hand entglitten, lag eine Aktentasche. Ich holte zwei Papiertaschentücher hervor, nahm mit ihnen die Aktentasche auf und trug sie unter die Brücke ins Trockene. Meine taschentuchgeschützten Hände fanden eine Zeitung, ein großes Notizbuch und die Kopie einer Landkarte. Das Notizbuch, Wendts ärztlicher Terminkalender, enthielt keinen Eintrag für den heutigen Nachmittag. Die Landkarte war ohne Bezeichnung, und was sie zeigte, erkannte ich nicht. Kein Ort, kein Fluß, keine Farben, die Wälder oder Häuser kenntlich gemacht hätten. Weithin war die Fläche in kleine numerierte Parzellen aufgeteilt. Ein Doppelstrich führte von der oberen bis zur unteren Mitte, davon schwangen mehrere Doppelstriche nach links ab und mündeten in einen weiteren Doppelstrich, der wieder gerade zum Rand führte. Ich merkte mir ein paar Zahlen: unten 203, oben 537, 538, 539, links 425 und rechts 113. Dann legte ich die Aktentasche wieder so hin, wie ich sie gefunden hatte.
    Mit dem erhöht liegenden Kopf, den ein aus dem Pflaster ragender Stein trug, sah Wendt aus, als gehe sein gebrochener Blick sehnsüchtig in weite Ferne. Ich hätte ihm gerne die Augenlider geschlossen. Auch weil es sich so gehört. Aber die Polizei würde es nicht mögen. Ich rief sie von der nächsten Telephonzelle in Wieblingen an und ließ mich mit Nägelsbach verbinden.
    »Ich finde nicht gut, daß Sie mir die Kollegen vom BKA geschickt haben.« Das mußte ich doch zuerst loswerden.
    »Was habe ich?«
    »Heute früh waren Bleckmeier und Rawitz vom BKA bei mir und wollten wissen, wo Leonore Salger ist.«
    »Herr Selb, damit habe ich nichts zu tun. Was Sie und ich neulich abends … Wie können Sie auf den Gedanken kommen, daß ich Ihr Vertrauen derart mißbrauchen könnte.«
    Seine Stimme bebte vor Empörung. Ich glaubte ihm. Mußte ich mich schämen? Fiel, was ich ihm zugetraut hatte, auf mich zurück? »Es tut mir leid, Herr Nägelsbach. Ich konnte mir einfach nicht vorstellen, wie das BKA sonst darauf kommt, mich zu vernehmen.«
    »Mhm.«
    Dann machte ich meine Meldung. Er bat mich, an der Telephonzelle auf ihn zu warten. Nach genau fünf Minuten waren ein Streifen- und ein Krankenwagen da, gleichzeitig kam Tietzke von der RNZ , und nach weiteren drei Minuten trafen Nägelsbach und sein Kollege ein. Ich stieg in ihren Wagen, führte sie zu Wendts Leiche, und sie machten sich an die Arbeit. Ich konnte gehen. »Bis morgen – sprechen Sie

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