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Selbs Betrug

Selbs Betrug

Titel: Selbs Betrug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Schlink
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doch bitte am Vormittag auf der Polizeidirektion vor!«

30
Spaghetti al Pesto
    Auf dem Treppenabsatz vor meiner Wohnung war die Birne noch immer kaputt. Ich sah es, als ich ein Stockwerk tiefer verschnaufte, und kehrte um.
    Brigitte war noch nicht zu Hause. Manu und ich kochten Spaghetti al Pesto. Er kann gar nicht früh genug lernen, daß Sahne der Leib und Wermut die Seele heller Pasta-Saucen ist.
    Als Brigitte und ich am späten Abend Nonni ausführten, wollte sie wissen, was los sei. »Ich freu mich, daß du da bist und daß ihr gekocht habt. Ihr habt sogar abgespült. Aber du bist doch nicht da, um mir eine Freude zu machen.«
    »Daß ich mir eine Freude mache – langt das nicht?«
    Sie spürte, daß das nicht alles war, mochte aber auch nicht widersprechen. Zu Hause sahen wir einen späten Film und die letzten Nachrichten. Vor dem Wetterbericht kam eine Fahndungsmeldung des Bundeskriminalamts. In den Abendnachrichten, die ich mit Manu gesehen hatte, war sie noch nicht gewesen. Die zwei namenlosen Männer kannte ich nicht. Die Frau war Leo und wurde auch mit ihrem Namen genannt. Die Rede war von einem terroristischen Anschlag auf eine amerikanische Militäreinrichtung und von zwei Toten. Dann kam ein Pressesprecher des Bundeskriminalamts ins Bild, sprach von den Terroristen der zweiten Generation, Feierabendterroristen, die tags ein normales Leben führen und nachts brennen und morden, bat um Verständnis für die unvermeidlichen Behinderungen durch Straßensperren und Kontrollstellen in den nächsten Tagen, versprach, daß sachdienliche Hinweise auf Wunsch vertraulich behandelt würden, und verwies auf die hohe Belohnung.
    »War das nicht die Kleine, deren Bild an deinem Löwen lehnt?«
    Ich nickte.
    »Du glaubst hoffentlich nicht, daß ich an die Belohnung denke. Ich denke daran, wie ich dich neulich gefunden habe. Da hast du gesagt, daß du der Polizei dann sagst, wo sie steckt, wenn du weißt, warum sie gesucht wird. Jetzt weißt du’s.«
    »Weiß ich’s? Ein terroristischer Anschlag auf eine amerikanische Militäreinrichtung mit zwei Toten – das ist alles, was ich weiß. Warum weiß ich nicht, wann und wo der Anschlag war? Im Januar ist Leo untergetaucht, jetzt ist Mai, und die Meldung klingt, als hätte Leo den Anschlag erst gestern verübt und sei erst gestern untergetaucht. Nein, Brigitte, ich weiß herzlich wenig.«
    Als wir im Bett lagen, faßte ich einen Entschluß und stellte den Wecker. Hoffentlich sahen die Amorbacher und besonders die Familie Hopfen keine Spätnachrichten.
    Am nächsten Morgen um sechs saß ich im Auto und fuhr nach Amorbach.

31
Wie damals bei Baader und Meinhof
    Die Straßen waren leer, und ich konnte zügig fahren. Die Sonne ging als blasse rote Scheibe auf, hatte aber den Dunst bald weggedampft und blendete mich in den vielen engen Kurven zwischen Eberbach und Amorbach. Die Regentage waren vorbei.
    Der Badische Hof hatte schon geöffnet und das Frühstücksbuffet war gerichtet. Am Nebentisch saß ein Ehepaar, sah aus, als käme es aus Gelsenkirchen oder Leverkusen, war zur Wanderung durch den Odenwald mit Kniebundhosen und roten Socken gerüstet und las über Kaffee und Brötchen den Boten vom Untermain. Ich hätte den beiden gerne gesagt, wie wichtig in der Ehe das Miteinanderreden ist, und sie um die Zeitung gebeten. Aber ich traute mich nicht. Immerhin konnte ich sehen, daß Leos Bild nicht auf der Titelseite war.
    Es war auf Seite 4. Als ich um viertel vor neun am Sommerberg klingelte, hatte ich die Zeitung am Kiosk gekauft und unterm Arm. Drinnen lärmten die Kinder. Leo machte die Tür auf.
    Ich hatte sie neulich nur flüchtig gesehen. Auch danach war sie für mich das Mädchen von der ersten Photographie geblieben, das Mädchen mit dem Mund, der gerne lacht, und der Frage und dem Trotz im Blick, das Mädchen, das auf meinem Schreibtisch am Löwen lehnte. Die junge Frau, deren Photographie ich im Studentenwohnheim am Klausenpfad bekommen hatte, hatte ich nicht mehr richtig wahrgenommen. Jetzt stand sie vor mir, noch mal ein oder zwei Jahre älter. Das Kinn und die Backenknochen zeigten Entschlossenheit. In ihrem Blick las ich: Was will der alte Mann? Ein Hausierer? Ein Vertreter? Oder will er Strom und Gas ablesen? Wieder trug sie Jeans und ein kariertes Männerhemd.
    »Sie wünschen?« Der Akzent war so dick wie die Nutella auf den Broten, die sich Manu selbst schmiert.
    »Guten Morgen, Frau Salger.«
    Sie machte einen Schritt zurück. Fast war ich über das

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