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Selbs Betrug

Selbs Betrug

Titel: Selbs Betrug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Schlink
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Mißtrauen in ihrem Blick froh. Lieber ein gefährlicher als ein lästiger alter Mann.
    »Wie bitte?«
    Ich hatte die Zeitung auf der vierten Seite aufgeschlagen und gab sie ihr. »Ich möchte mit Ihnen reden.«
    Sie betrachtete ihr Bild in einer Mischung aus Neugier und Resignation: Das soll ich sein? Egal, es ist aus. Ich vermute, die Photographie stammte von Leos erkennungsdienstlicher Behandlung. Gelegentlich ist von Kriminalisierung durch die Polizei die Rede und wird geargwöhnt, die Polizei bekämpfe das Verbrechen nicht nur, sondern erzeuge es erst. Das sind unzulässige Verallgemeinerungen. Nur die Polizeiphotographen kriminalisieren. Sie freilich sind Meister des Fachs. Man überläßt ihnen den gesetzestreuesten und unbescholtensten Biedermann – im Handumdrehen machen sie aus ihm eine Verbrechervisage. Leo zuckte die Schultern und gab mir die Zeitung zurück. »Haben Sie bitte einen Moment Geduld.« Der Akzent war weg.
    Ich stand vor der Tür und hörte in Fetzen, wie Leo die Kinder anhielt, Schuhe anzuziehen, Jacken mitzunehmen und Brote einzupacken. Dann lief sie die Treppe hinunter und schlug unten Zimmer- und Schranktüren auf und zu. Als sie mit den Kindern vors Haus trat, hatte sie einen Mantel über dem Arm und eine volle Tasche über der Schulter.
    »Ist es recht, wenn ich mit den Kindern vorausfahre? Ich möchte sie gerne im Kindergarten und in der Schule absetzen und den Wagen bei der Praxis parken.« Sie schloß den Rover auf und half den Kindern hinein.
    Ich fuhr hinter ihr her, sah das Mädchen in den Kindergarten und die Buben in die Schule gehen. Dann hatte Leo den Rover geparkt, die Schlüssel in den Briefkasten der Praxis geworfen und stand mit Tasche und Mantel neben meinem Wagen. »Wir können fahren.«
    Hielt sie mich für einen Polizisten? Nun, das ließ sich später klären. Als ich in die Straße nach Eberbach bog, sah sie mich erstaunt an, sagte aber nichts. Sie und ich schwiegen bis Ernsttal. Ich stellte den Wagen unter den Bäumen ab. »Kommen Sie, lassen Sie uns einen Kaffee trinken.«
    Sie stieg aus dem Auto. »Und wohin geht’s dann?«
    »Ich weiß nicht. Bonn? Heidelberg? Was hätten Sie denn gerne?«
    Wir setzten uns auf die Terrasse und bestellten. »Sie sind nicht von der Polizei – wer sind Sie und was wollen Sie?« Sie holte Tabak und Papier aus der Tasche, drehte sich fingerfertig eine Zigarette und ließ sich von mir Feuer geben. Dann rauchte sie und wartete auf meine Antwort. Sie sah mich an, nicht mißtrauisch, nur vorsichtig.
    »Wendt ist tot, und es spricht alles dafür, daß dies hier der Mörder ist.« Ich zeigte ihr ein Bild aus ihrem Album, auf dem der falsche Salger neben ihr stand, den Arm um ihre Schulter gelegt. »Sie kennen ihn.«
    »Ja und?« Die Vorsicht im Blick wurde Abwehr. Sie hatte mit aufgestützten Armen am Tisch gesessen; jetzt lehnte sie sich zurück.
    »Ja und? Wendt hat Ihnen geholfen. Zuerst hat er Sie im Psychiatrischen Landeskrankenhaus versteckt, dann Ihnen die Au-pair-Stelle in Amorbach verschafft. Ich habe ihn nicht gut gekannt, aber mir ist nicht wohl bei dem Gedanken, daß er vielleicht noch leben könnte, wenn ich der Polizei gesagt hätte, was sie von mir wissen wollte, über Sie, über ihn«, ich zeigte auf das Bild, »und über Wendt. Ich bin ziemlich sicher, daß er noch leben würde, wenn Sie einiges anders gemacht hätten.«
    Der Wirt brachte den Kaffee. Leo stand auf. »Ich bin gleich wieder da.« Wollte sie sich durchs Klofenster zwängen und durch die Wälder ins Bayerische schlagen? Ich ließ es darauf ankommen. Der Wirt legte mir dar, daß unsere Wälder sterben, seit in deutschen Öfen russisches Erdgas verfeuert wird. »Die tun was rein«, flüsterte er mir zu, »Krieg, Waffen – das brauchen die gar nicht mehr.«
    Leo kam zurück. Sie hatte tränenverquollene Augen. »Sagen Sie mir jetzt, was Sie von mir wollen?« Sie sprach normal, aber es kostete sie Kraft.
    Ich gab eine knappe Version der letzten Wochen.
    »Für wen arbeiten Sie jetzt?«
    »Für mich. Das kann man schon mal machen, wenn es nur kurz ist.«
    »Und was ich weiß, wollen Sie einfach so wissen, aus Interesse und Neugier?«
    »Nicht nur. Ich möchte auch wissen, was mir von ihm«, ich zeigte wieder auf das Bild, »noch blüht. Wie heißt er übrigens?«
    »Und wenn ich Ihnen alles gesagt habe – was dann?«
    »Sie wollen wissen, ob ich Sie dann der Polizei ausliefere?«
    »War doch was, oder? Haben Sie mich eigentlich leicht erkannt?«
    »Sehr schwer

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