Selbs Betrug
Selb? Immer noch für Leonore Salgers Vater?«
»Da gibt es keinen Vater. Ich vermute, deswegen hat mir Dr. Wendt damals die Lügengeschichte vom Fenstersturz aufgetischt. Er hat gedacht, daß der falsche Vater sich nicht hervorwagen kann und sich mit der falschen Geschichte abfinden muß. Aber die falsche Geschichte war zu dünn, und der falsche Vater – er hat keine Scheu, sich hervorzuwagen, mit verspiegelter Sonnenbrille und ohne. Für wen ich arbeite? Nicht mehr für ihn und auch sonst für niemanden. Ich habe keinen Auftraggeber, nur ein Sorgenkind.«
»Ist das bei einem Privatdetektiv normal?«
»Nein. Am besten ist es, wenn das Sorgenkind auch der Auftraggeber ist. Wie bei Ihnen. Wie ein Psychotherapeut sollte auch ein Privatdetektiv nicht ohne Bezahlung arbeiten. Auch in meinem Metier hat der Klient ohne Leidensdruck keine Heilungschancen.«
Er lachte. »Heilen Detektive? Ich dachte, sie ermitteln.«
»Auch das ist wie bei Ihnen. Wenn wir nicht herausfinden, was wirklich geschehen ist, werden die Leute die alten Geschichten nicht los.«
»So, so.« Das klang so nachdenklich, daß ich mich fragte, ob das, was ich dahergeredet hatte, des ernsthaften Nachdenkens wert war. Aber Eberlein war mit den Gedanken anderswo. »Was ist nur mit Wendt los? Gestern waren die zwei Herren vom BKA bei mir, und heute hatte ich Wendt zu mir bestellt. Er ist einfach nicht gekommen. Er kann doch nicht glauben …« Eberlein führte nicht zu Ende, was Wendt nicht glauben konnte. »Der, den Sie beschrieben haben, war auch da. Lehmann aus Frankfurt – er wollte zu Wendt, der nicht da war, kam dann zu mir und stellte sich als alter Freund der Familie Salger und besonders der Tochter Leonore vor, redete von väterlicher Anteilnahme und Verantwortung, von Schwierigkeiten, in denen sie steckt, und wollte wissen, wo sie jetzt lebt. Ich weiß es nicht, und ich hätte es ihm auch nicht gesagt, wenn ich es wüßte. Ich hoffe, er findet sie nicht.«
»Ich auch – aber warum Sie?«
Er machte das Fenster auf und ließ kühle, feuchte Luft ins Zimmer. Es regnete in senkrecht fallenden Fäden. »Sie haben sich neulich vielleicht gewundert, warum ich eine Yacht habe. Nun – ich interessiere mich für Fische. Im Indischen Ozean gibt es einen Hai, der einige Ähnlichkeit mit dem Delphin hat. Haie sind Einzelgänger und Delphine Rudeltiere, aber auch im Verhalten kann dieser Hai eine große Ähnlichkeit mit dem Delphin an den Tag legen. Er fügt sich in ein Rudel Delphine ein, schwimmt mit ihnen, spielt und jagt mit ihnen. Das geht eine Weile gut. Bis er auf einmal, wir wissen nicht, warum, durchdreht und einen Delphin auf der Stelle zerreißt und zerfleischt. Manchmal stürzt sich das Rudel auf ihn, meistens flieht es. Er bleibt dann wochen- oder monatelang allein, bis er sich ein anderes Rudel sucht.«
»An ihn erinnert Sie Lehmann?« Ich hatte keinen Grund, Lehmann besonders zu schätzen, aber das war starker Tobak.
Er hob beschwichtigend die Hand. »Das Faszinierende an unserem Hai ist, daß er bei den Delphinen eine Rolle zu spielen scheint. Aber Tiere spielen keine Rollen, sie haben nicht die nötige Distanz. Also muß es im Gehirn unseres Hais zwei Programme geben, das Haiprogramm und das Delphinprogramm, und er ist einmal ganz und gar Delphin und das andere Mal ganz und gar Hai. Deswegen hat mich Lehmann an den Hai erinnert. Ich war sicher, daß er mir Lügen auftischte, aber ich war ebenso sicher, daß er sich fühlte, als rede er die reine Wahrheit. Wissen Sie, was ich meine?«
Ich nickte.
»Dann wissen Sie auch, warum ich den Mann gefährlich finde. Vielleicht hat er noch nie einem anderen ein Härlein gekrümmt und wird’s auch nie tun. Aber wenn es ihm danach ist, tut er es ohne jedes Zögern und besten Gewissens.«
29
Bei dem Wetter?
Ich fuhr nach Wieblingen in die Schusterstraße. Bei Wendt klingelte und klopfte ich vergebens. Als ich zum Wagen zurückging, stand Frau Kleinschmidt in der Haustür. Sie hatte mich wohl durch den Vorhang beobachtet.
»Herr Wendt!«
Ich sprang über zwei Pfützen, bekam den Guß der Dachrinne am Vordach ab, stellte mich zu Frau Kleinschmidt in den Hausflur und wischte die Brille trocken.
»Sie suchen wieder Ihren Herrn Sohn, den Herrn Doktor? Er war da, sehen Sie, da steht sein Wagen. Aber dann kam noch ein anderer Wagen, und er ist mit dem anderen Herrn losgegangen.«
»Bei dem Wetter?«
»Ist das nicht seltsam? Ich finde es seltsam. Und dann, nach einer Dreiviertelstunde, ist der
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