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Selbs Betrug

Selbs Betrug

Titel: Selbs Betrug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Schlink
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fertiggemacht. So war das. Er hat mir erzählt, wie ein Polizist ihm ganz offen gesagt hat, er habe lange genug seinen Spaß mit der Polizei gehabt, jetzt habe die Polizei ihren Spaß mit ihm.«
    »Das klang Ihnen überzeugend?«
    »Ja, und ich hab verstanden, daß er es ihnen heimzahlen wollte. Zuerst wollte er das Kreiswehrersatzamt hochgehen lassen, diesmal er, und diesmal richtig. Aber dann wurde ihm klar, daß er die dahinter treffen muß, die Amerikaner. Manchmal sind wir durch die Bunsenstraße gelaufen, und gleich um die Ecke von meiner Wohnung in der Häusserstraße ist die alte Villa, in der früher das Kreiswehrersatzamt war und in der jetzt die Amerikaner sind, ich weiß nicht, was für eine Dienststelle. ›Siehst du‹, sagte er, ›der Anschlag auf das Kreiswehrersatzamt war nicht nur Blödsinn, weil ein Kreiswehrersatzamt nur ein Kreiswehrersatzamt ist, sondern weil der Wechsel der Benutzer deutlicher als jede Bombe zeigt, daß hinter dem deutschen Militarismus letztlich der amerikanische Imperialismus steckt. Es ist eine Beleidigung meiner Intelligenz, daß sie mir eine derart blödsinnige Aktion im Kampf gegen Kapitalismus und Imperialismus zugetraut haben.‹«
    Ich hatte schon in den sechziger und siebziger Jahren Schwierigkeiten, diesen Politjargon ernst zu nehmen. Der Zeitgeist der neunziger Jahre macht das Ernstnehmen nicht leichter. Trotz ihrer selbstgedrehten Zigaretten konnte ich mir Leo nicht bei der Lektüre von Marx und Engels vorstellen. Ich fragte sie vorsichtig nach ihrem Verhältnis zum Kampf gegen Kapitalismus und Imperialismus.
    »Das war Helmuts Kiste. Wenn man so lange damit gelebt und so viel dafür bezahlt hat, kommt man vielleicht nicht mehr von runter. Wir haben ihn manchmal aufgezogen. Er hat nicht verstanden, daß gute Politik konkret ist, unter die Haut geht und Spaß macht. Aber andererseits hat er uns auch eine Menge beigebracht.«
    »›Uns‹? Ihnen und den beiden anderen von den Fahndungsphotos?«
    »Mir meine ich. Ich will niemand reinziehen. Die von den Zeitungsphotos kenne ich auch gar nicht.«
    Ich bedrängte sie nicht. Ich konnte aus der Fortsetzung ihres Berichts schließen, daß es noch zwei andere gab, einen Giselher und einen Bertram, daß sie sich auf einer Demonstration kennengelernt hatten, gelegentlich trafen und zunächst nur zusammen geschimpft und gewitzelt hatten.
    »Dann hatten wir’s satt. Du redest und redest, und ändern tust du nichts. Die ganzen Sauereien gehen weiter, das Waldsterben, die Chemie in der Luft und im Wasser, die Kernkraftwerke, die Raketen, und wie sie die Städte kaputtmachen und die Polizei aufrüsten. Das einzige, was du erreichst, ist, daß die Zeitungen und das Fernsehen mal mehr berichten. Aber dann ist das Thema ausgelutscht, und niemand schreibt oder sendet mehr über den Wald, und die Leute denken, daß alles paletti ist, dabei wird’s immer schlimmer.«
    Also beschlossen sie, zu handeln statt zu reden. Sie beschossen das Kernkraftwerk in Biblis mit Feuerwerkskörpern, legten Stinkbomben in Heidelberger und Mannheimer Sex-Shops, steckten bei Polizeiautos Bananen in den Auspuff, versuchten vergebens, durch nächtens gesprengte Schlaglöcher ein Autorennen auf dem Hockenheimer Ring zu verhindern, und fällten zwischen Kirchheim und Sandhausen einen Hochspannungsmast. Dann stieß Helmut Lemke zu ihnen. Er machte ihnen klar, daß sie sich mit Kindereien abgegeben hatten.
    »Welche Rolle hat Wendt dabei gespielt? Ich verstehe, daß Sie niemand reinziehen wollen, aber …«
    »Er ist tot, ich weiß. Er hat keine Rolle dabei gespielt. Habe ich das nicht schon gesagt? Wir waren einfach befreundet. Irgendwie kannten Helmut und er sich von früher. Zufällig trafen wir Rolf im ›Weinloch‹, Helmut hat ihn mir vorgestellt, und so haben wir uns kennengelernt.«
    »Die Zeitung schreibt von einem Anschlag auf eine amerikanische Militäreinrichtung.«
    »Das folgte aus dem neuen Konzept.« Lemke brachte sie darauf. Man solle durch Aktionen nicht zu verhindern versuchen, was man doch nicht verhindern kann, sondern es entlarven. Das leuchtete Leo und ihren Freunden ein. Also planten sie, in die Rheinischen Chemiewerke in Ludwigshafen einzudringen und deren Emissionen so zu manipulieren, daß Luft und Wasser wenn schon giftig, dann auch bunt werden. Das Gift sollte sich durch violette Wolken und einen gelben Rhein selbst entlarven. Sie planten auch einen Anschlag auf Römerkreis, Bismarckplatz und Adenauerplatz, wollten dort zur

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