Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Selbs Betrug

Selbs Betrug

Titel: Selbs Betrug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Schlink
Vom Netzwerk:
Frauenstimme. »Herr Selb? Sie haben wieder Probleme? Wenn Sie sofort vorbeikommen, kann ich Sie gleich einschieben. Gerade ist bei Herrn Doktor ein Termin frei geworden.« Ich kam sofort vorbei. Zur kühlen Stimme gehörte eine kühle, blonde Frau mit makellosen Zähnen. Sie schob mich ein, obwohl ich nicht Herr Selb war, der bei Herrn Doktor schon Patient war. Ich hatte gar nicht gewußt, daß es in der Region außer mir noch einen Herrn Selb gab. Soweit ich den Stammbaum meiner Familie kenne, ist ihm mit mir der letzte Zweig gesprossen.
    Der Arzt war jung, sein Auge sicher und seine Hand ruhig. Der entsetzliche Moment, wenn die Spritze näher kommt, den Gesichtskreis ausfüllt, wieder aus ihm verschwindet, weil sie in den Mundraum tritt und die Einstichstelle sucht, dann das Warten auf den Einstich und schließlich der Einstich selbst – der Arzt war so flink, daß ich kaum zum Leiden kam. Er schaffte es, gleichzeitig mich über die Runden zu bringen, seine Arbeit zu machen und mit der Helferin zu flirten. Er erklärte mir, daß er nicht wisse, ob er Dreisieben retten könne. Profund kariös. Er wolle es versuchen. Er werde die meiste kariöse Substanz abtragen, Calxyl einlegen, mit Cavit abdecken und die Brücke provisorisch befestigen. Nach ein paar Wochen könne man sehen, ob Dreisieben sich halten lasse. Ob ich einverstanden sei?
    »Was gibt es sonst?«
    »Wir können ihn gleich ziehen.«
    »Was dann?«
    »Dann entfällt die Brücke, und Dreifünf bis Dreisieben werden herausnehmbar prothetisch versorgt.«
    »Sie meinen, ich kriege ein Gebiß?«
    »Kein ganzes Gebiß, um Gottes willen, eine Prothese für den letzten Bereich des dritten Quadranten.«
    Aber er konnte nicht leugnen, daß das Gebilde zum Rausnehmen und Reinsetzen war, über Nacht ins Glas kommen und da am Morgen auf mich warten würde. Ich erklärte mein Einverständnis mit jeder zur Rettung von Dreisieben erforderlichen Maßnahme. Jeder.
    Ich habe einmal einen Film gesehen, in dem sich einer aufgehängt hat, weil er ein Gebiß bekam. Oder war’s ein Unfall? Zuerst wollte er sich aufhängen, dann wollte er sich wieder abhängen, konnte aber nicht mehr, weil der Hund den Stuhl umgestoßen hatte, auf dem er mit der Schlinge um den Hals balancierte.
    Würde Turbo mir diesen letzten Dienst erweisen?

2
So ein Irrsinn!
    Ich fuhr zu Nägelsbach. Er fragte nicht, warum ich erst jetzt kam und wo ich gesteckt hatte. Er nahm meine Aussage zu Protokoll. Daß ich mich gegenüber Frau Kleinschmidt als Wendts Vater ausgegeben hatte, wußte er schon. Er wußte auch, daß sie mich als Wendts Vater in die Wohnung gelassen hatte. Aber er machte mir keine Vorwürfe. Ich erfuhr, daß die Polizei, was Wendts Tod anging, noch ganz im dunkeln tappte.
    »Wann ist die Beerdigung?«
    »Am Freitag auf dem Edinger Friedhof. Die Eltern Wendt leben dort. ›Neue vier Wand’? Zu Immo-Wendt!‹ Erinnern Sie sich noch an den Werbespruch aus den fünfziger Jahren? Und an das kleine Büro unter den Arkaden am Bismarckplatz? Das ist Vater Wendt. Inzwischen ist’s eine große Agentur mit Büros in Heidelberg, Schriesheim, Mannheim und ich weiß nicht, wo noch.«
    Als ich schon in der Tür stand, kam Nägelsbach auf Leo zu sprechen. »Sie wußten, daß Frau Salger sich in Amorbach versteckt hatte?«
    »Haben Sie sie dort gefaßt?«
    Er sah mich prüfend an. »Nein. Als wir die Meldung von einem Nachbarn bekamen, der sie auf dem Fahndungsphoto im Fernsehen erkannt hat, war sie weg. Das ist nun mal so, Fahndungsphotos werden auch von denen gesehen, nach denen gefahndet wird.«
    »Warum haben Sie mir neulich nicht sagen können, warum Sie nach Frau Salger fahnden?«
    »Tut mir leid, das kann ich Ihnen auch jetzt nicht sagen.«
    »In den Medien ist von einem terroristischen Anschlag auf amerikanische Militäreinrichtungen die Rede – war das hier in der Gegend?«
    »Es muß in Käfertal oder im Vogelstang gewesen sein. Damit haben wir hier aber nichts zu tun.«
    »Und das Bundeskriminalamt?«
    »Was ist mit dem BKA ?«
    »Ist es in die Ermittlungen eingeschaltet?«
    Nägelsbach zuckte die Schultern. »Auf die eine oder andere Weise sind die bei einer solchen Sache immer dabei.«
    Gerade die Weise, auf die das BKA dabei war, hätte mich interessiert. Aber sein Gesicht sagte mir, daß weiteres Fragen zwecklos war. »Etwas anderes – erinnern Sie sich an einen Anschlag auf das Kreiswehrersatzamt in der Bunsenstraße vor etwa sechs Jahren?«
    Er dachte eine Weile nach, dann schüttelte

Weitere Kostenlose Bücher