Selbs Betrug
er den Kopf. »Nein. Es gab keinen Anschlag in der Bunsenstraße. Vor sechs Jahren nicht und auch sonst nicht. Wie kommen Sie drauf?«
»Das hat neulich jemand erwähnt, und auch ich konnte mich nicht daran erinnern, war aber nicht so sicher wie Sie.«
Er wartete, aber jetzt mochte ich nicht mehr sagen. Unser Umgang miteinander war sehr vorsichtig geworden. Ich fragte ihn nach der Arbeit an Rodins Kuß , aber auch darüber mochte er nicht sprechen. Als ich ihn bat, seine Frau zu grüßen, nickte er. Die Schaffens- und Ehekrise dauerte also an. Früher dachte ich, mit dem Abitur ist man aus dem Gröbsten raus, später setzte ich auf Studienabschluß, Eheschließung und Berufsaufnahme, schließlich auf den Eintritt in den Witwerstand. Aber es geht einfach immer so weiter.
Der alte Wendt regiert seine Immobilienagenturen von einem Büro in Heidelberg im Mengler-Bau aus. Während ich am Empfang wartete, schaute ich den Baggern zu, die den Adenauerplatz wieder einmal um- und umwühlten. Auf einem großen, leeren Schreibtisch standen ein kleiner gelber Bagger, ein ebensolcher Kran und ein kleiner blauer Umzugslastzug.
Wendts Chefsekretärin war mehr Chefin als Sekretärin. Bis auf weiteres leite sie die Geschäfte. Herr Wendt habe ihr auch die Besorgung seiner persönlichen Angelegenheiten übertragen. Ob ich ihr nicht sagen wolle, um was es sich handelt? Frau Büchler stand mir gegenüber und spielte verhalten mit meiner Visitenkarte. Graue Haare, graue Augen, graues Kostüm – aber ganz und gar keine graue Maus. Das Gesicht war nahezu faltenlos und die Stimme jung, als habe ein raffinierter brasilianischer Schönheitschirurg ihr mit der Gesichtshaut auch die Stimmbänder geliftet. Sie bewegte sich, als gehöre ihr heute schon das Büro und morgen die ganze Welt.
Ich berichtete ihr, wie ich mit Dr. Rolf Wendt in Berührung gekommen war, von unserem letzten Gespräch, unserer Verabredung und wie ich ihn gesucht und gefunden hatte. Ich deutete an, welchen Zusammenhängen zwischen Wendts Tod und den laufenden Ermittlungen in Sachen Leonore Salger meines Erachtens nachgespürt werden müßte. »Vielleicht macht die Polizei das alles. Aber geheuer ist mir ihr Vorgehen nicht. Sie hat zunächst nicht sagen wollen, warum sie Frau Salger sucht, ist dann auf einmal mit der Fahndung an die Öffentlichkeit gegangen und weiß jetzt bei Wendts Tod entweder mehr, als sie sagen will, oder weniger, als sie wissen sollte. Man darf ihr die Aufklärung des Falls Wendt nicht alleine überlassen. Deswegen bin ich hier – ich würde den Fall gerne übernehmen. Ich bin in ihn hineingeraten, er läßt mir keine Ruhe, aber auf eigene Rechnung kann ich ihn nicht weiter bearbeiten.«
Frau Büchler bat mich zur Sitzgruppe, und ich nahm in einer ausladenden Konstruktion aus Stahl und Leder Platz. »Wenn Sie den Fall bearbeiten sollten, müßten Sie mit Herrn und Frau Wendt reden, oder? Und beiden eine Menge Fragen stellen?«
Ich antwortete mit einer vagen Handbewegung.
Sie schüttelte den Kopf. »Es ist nicht das Geld. Auf seine Art ist Wendt immer großzügig mit Geld gewesen, und jetzt ist es ihm völlig gleichgültig geworden. Er hatte es für Rolf gedacht. Das Verhältnis war nicht gut, sonst hätte Rolf nicht in dem Loch gewohnt, in dem er gewohnt hat, ich bitte Sie, bei dem Vater. Aber die Hoffnung hat Wendt nicht aufgegeben. Früher hat er gehofft, daß Rolf doch noch ins Geschäft einsteigt und es eines Tages übernimmt. Später hat er andersrum gehofft. Er dachte, daß Rolf Lust auf eine eigene Anstalt kriegen könnte, und wollte dann das Bauliche und die Verwaltung übernehmen. Das war fast schon eine fixe Idee geworden. Immer wieder haben wir in den letzten Jahren nach alten Krankenhäusern, Schulen, Kasernen gesucht, nur für den Sohn. Einmal haben wir sogar einen Reiterhof in der Pfalz gekauft, weil Wendt meinte, daß er sich optimal zur Irrenanstalt aus- und umbauen ließe. So ein Irrsinn! Können Sie sich das vorstellen? Gutes Geld für einen eingegangenen Reiterhof? Ich bin noch immer heilfroh, daß wir …« Sie lächelte mich an. »Herr Selb, Sie merken, ich bin mit Leib und Seele im Immobiliengeschäft. Lassen wir das. Wenn Sie den Auftrag bekommen sollten, müßten Sie versprechen, daß Sie die Eltern Wendt vorerst in Ruhe lassen. Sie würden mir berichten. Ist das klar?«
Ich nickte. Sie saß mit dicht nebeneinanderstehenden Beinen, wie im Modejournal. Ihre Hände lagen ruhig im Schoß, die eine in der anderen, um
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