Selbs Betrug
sich sicher über den jungen Mieter gefreut.«
»Hab ich auch. Und Miete haben wir nicht viel genommen, weil ich meinem Mann gesagt hab, ›Günther‹, hab ich gesagt, ›der junge Herr Doktor ist in der Irrenanstalt. In der Irrenanstalt sind die armen Schlucker. Die Reichen, die’s ihren Ärzten hinten und vorne reinschieben, die sind woanders.‹ Aber so, wie ich mir das gedacht hab, ist es nicht gekommen. Er war schon höflich, der junge Herr Doktor, und hat immer gegrüßt und gefragt, wie’s geht. Aber sich bei uns dazugesetzt, am Abend oder am Sonntag, das hat er nicht. Auch nicht wenn er den ganzen Tag gesessen und gelernt hat. Aus dem Garten, wissen Sie, wenn ich gearbeitet hab, hab ich ihn an seinem Tisch mit seinen Büchern sehen gekonnt.«
»Und Freunde, Freundinnen?«
Frau Kleinschmidt schüttelte den Kopf. »Von uns aus hätte er schon mal eine Freundin mitbringen können, wir sind da nicht so. Und gegen Freunde haben wir auch nichts. Aber er war wohl ein Einzelgänger.«
Dabei blieb’s. Keine auffälligen Kontakte, keine auffälligen Aktivitäten. Ein Bilderbuchmieter. Ich hatte Frau Kleinschmidt Leos Bild zwar schon einmal gezeigt, versuchte es aber noch einmal. Ich zeigte ihr auch ein Photo mit Helmut Lemke. Sie erkannte keinen von beiden.
»Hat die Polizei Wendts Wohnung versiegelt?«
»Sie wollen sich noch mal umschauen?« Sie stand auf und nahm einen Schlüssel vom Haken an der Wand. »Wir gehen durch den Heizungskeller. Durch die Eingangstür dürfen wir nicht mehr, hat die Polizei gesagt, bis die Untersuchungen abgeschlossen sind. Und das Siegel auf dem Schloß dürfen wir nicht kaputtmachen.«
Ich folgte ihr über die Kellertreppe, durch den Heizungskeller und durch die Besenkammer in Wendts Wohnung. Die Polizei hatte gründliche Arbeit geleistet und das unterste zuoberst gekehrt. Was sie nicht gefunden hatte, würde ich auch nicht finden.
So vergingen die Tage. Ich machte meine Arbeit, wie es sich gehört, aber kam nicht recht voran. Mit Eberlein hätte ich gerne geredet, aber er war verreist. Auch Wendts Schwester hätte ich gerne gesprochen. Sie lebte in Hamburg und hatte wie ihr Bruder kein Telephon. Ob sie zur Beerdigung kommen würde, wußte Frau Büchler nicht. Es gab Spannungen mit dem Vater und hatte Spannungen mit dem Bruder gegeben. Ich schickte Dorle Mähler geborene Wendt einen Brief.
Einmal kam ein Anruf von Tietzke: »Vielen Dank, daß Sie mich neulich gleich haben rufen lassen.«
»Daß ich was?«
Aber kaum hatte ich ihn gefragt, wußte ich schon, was er meinte. Wie hatte mir das entgehen können! Tietzke war gleichzeitig mit dem Streifen- und dem Krankenwagen beim toten Wendt. Nur ich konnte ihn so schnell benachrichtigt haben. Ich oder der Mörder.
4
Peschkaleks Nase
Auf der Beerdigung sah ich alle wieder: Nägelsbach, den Studienfreund, die Doppelkopfpartner, die Frau von der Deutschen Bank, den Trainer von der Eppelheimer Squash-Halle, Frau Kleinschmidt und Frau Büchler, nur Eberlein nicht. Ich war früh da, setzte mich in die letzte Bank und sah zu, wie die kleine Kapelle sich langsam füllte. Dann kamen rund sechzig Leute auf einmal. Ihr Tuscheln verriet mir, daß der alte Wendt seine Büros geschlossen und die Belegschaft zur Beerdigung kommandiert hatte. Er selbst kam spät, ein großer, schwerer Mann mit versteinertem Gesicht. Die Frau an seinem Arm trug einen dichten schwarzen Schleier. Als die Orgel einsetzte, huschte Peschkalek auf den freien Platz an meiner Seite. Während des ersten Lieds wechselte er behende den Film in seiner kleinen Kamera. Jerusalem, du hochgebaute Stadt! Trotz dieses Bezugs zur Immobilie und strenger Blicke von Frau Büchler stimmten Wendts Leute nicht recht ein. Der Gesang war schütter.
»Was machen Sie denn hier?« Peschkalek stieß mich an. »Das gleiche kann ich Sie fragen.«
»Dann machen wir wohl auch das gleiche.« Nach dem Pfarrer redete ein Oberarzt aus dem Psychiatrischen Landeskrankenhaus. Er sprach mit Achtung und Wärme vom jungen Kollegen, von dessen Fürsorge für die Patienten und Einsatz in der Forschung. Dann trat der Trainer aus Eppelheim nach vorne und vereinnahmte Rudolf nachträglich für das Clubleben in der Squash-Halle. Als wir beim Schlußlied waren, ging die Tür einen Spalt auf, und eine junge Frau trat ein. Sie zögerte, sah sich suchend um, ging dann entschlossen zur ersten Reihe und stellte sich neben Frau Wendt. Rudolfs Schwester?
Am Grab stand ich abseits. Auch Nägelsbach hielt auf
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