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Selbs Betrug

Selbs Betrug

Titel: Selbs Betrug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Schlink
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dort.«
    »Gerd?«
    »Ja?«
    »Muß man im Leben für alles bezahlen?«
    »Ich weiß es nicht, Leo. Sag, hast du vom Giftgas im amerikanischen Militärlager gewußt?«
    »Ich muß Schluß machen. Ich ruf dich wieder an.« Sie legte auf.
    Ich lag wach und hörte, wie die Glocken vom Turm der Heilig-Geist-Kirche die Zeit abarbeiteten, Viertelstunde um Viertelstunde. Als der Morgen graute, schlief ich ein. Wieder weckte mich das Telephon. Diesmal war Nägelsbach am Apparat.
    »Über den Computer kam eben ein Haftbefehl für Sie.«
    »Was?« Ich sah auf die Uhr. Es war halb neun.
    »Unterstützung einer terroristischen Vereinigung, Strafvereitelung – Sie sollen die kleine Salger gewarnt und über die Grenze geschafft haben. Herrgott, Selb …«
    »Wer sagt das?«
    »Spielen Sie nicht Katz und Maus mit mir. Ein anonymer Anruf, dann Recherchen vom BKA . In Amorbach will Sie jemand zusammen gesehen haben, außerdem in Ernsttal der Wirt. Sagen Sie schon, daß es nicht stimmt.«
    »Kommt jetzt gleich ein Mannheimer Streifenwagen und holt mich ab?« Dann fiel mir ein, daß ich um zehn bei Philipps Hochzeit den Trauzeugen machen sollte. Ein Hochzeitsgeschenk hatte ich auch noch nicht. »Bitte stoppen Sie das. Sagen Sie Ihrem Fahndungscomputer, daß Sie mich haben. Ich verspreche Ihnen, daß ich mich heute abend bei Ihnen melde. Philipp heiratet heute Füruzan, die Krankenschwester. Sie kennen sie von Silvester, und ich bin Trauzeuge. Gönnen Sie mir den einen Tag Zeit, bis ich die Schwester dem Gatten gefreit.«
    Er schwieg lange. »Es stimmt also?«
    Ich antwortete nicht.
    »Heute abend um sechs. Hier.«
    Ich warf die Kaffeemaschine an, hastete unter die Dusche und stürzte mich in meinen dunkelblauen Anzug. Ich war schon auf der Treppe, als ich an das Köfferchen dachte. Cordhose, Pullover, Nachthemd, Zahnpasta und -bürste, Shampoo und Eau de toilette. Vermutlich würde es in der Zelle nach Angstschweiß und Rattenpisse stinken. Ich griff einen Band Gottfried Keller, das Steckschach und Keres’ Meisterpartien. Turbo stromerte über die Dächer, statt mir nachzuwinken.
    Frau Weiland versprach, sich um ihn zu kümmern. »Na, geht’s ins Wochenende?«
    »So ähnlich.«
    Ich legte das Köfferchen ins Auto. Mir ging lauter dummes Zeug durch den Kopf. Gab es beim Gefängnis Parkplätze für Gefangene? Für Langzeit- und für Kurzzeitparker, wie am Flughafen? Wie wär’s mit einer Gefängnisversicherung, die dem Untersuchungshäftling ein Tagegeld zahlt und dem Staat den Aufpreis für die Einzelzelle? Auf dem Weg zum Rathaus kaufte ich einen Sonnenschirm. Philipp besaß keinen, er hatte bisher wenig auf seinem Balkon gesessen. Das würde jetzt anders werden. Füruzan häkelt, Philipp poliert sein chirugisches Besteck, manchmal ein kleiner Schwatz mit den Nachbarn, und am Geländer blühen die Geranien.
    Unter dem Balkon, den zwei steinerne Männer über dem Eingang des Standesamts tragen, wartete Füruzan mit ihrer Familie. Sie trug ein aprikosenhelles Kleid, eine weiße Rose im dunklen Haar und sah allerliebst aus. Der Mutter war mit der Fülle des Leibes eine Würde zugewachsen, wie sie sonst Kaisern, Königen und Kanzlern eignet. Die gertenschlanke kleine Schwester kicherte. Der Bruder sah aus, als sei er mal eben aus den Bergen des wilden Kurdistan herabgeritten und hätte sich feingemacht.
    »Mein Vater ist vor drei Jahren gestorben.« Füruzan sah meinen suchenden Blick und wies auf ihren Bruder. »Er gibt mich Philipp zur Frau.«
    Vom Rathaus schlug es zehn. Ich versuchte, Konversation zu machen. Aber die Mutter sprach nur Türkisch, die Schwester antwortete auf alle meine Fragen mit dem gleichen Giggeln, und der Bruder brachte die Zähne nicht auseinander.
    »Er studiert Landschaftsarchitektur an der Technischen Hochschule Karlsruhe.« Füruzan schlug eine Brücke, auf der ihr Bruder und ich uns hätten treffen und über Semiramis’ Hängende Gärten und den Luisenpark hätten plaudern können. Aber er blieb stumm, mit mahlenden Kiefern.
    Manchmal stieß die Mutter einen wortreichen türkischen Satz aus, scharf und schnell wie ein Schlag. Füruzan reagierte nicht darauf. Sie sah mit unbewegtem, hochmütigem Gesicht über den Marktplatz. Unter ihren Achseln färbte sich das Aprikosenhell dunkel.
    Auch ich schwitzte. Der Markt war belebt. Das Mütterchen am nächsten Stand pries schönen Mangold an. Auf der Breiten Straße hupte ein anliefernder Lastwagen und klingelte die Straßenbahn. An den Tischen vor dem Café

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