Selbs Betrug
fiel das Gespräch im Gefängnis ein, bei dem Peschkalek von mir und Leo gesprochen hatte, vom alten Mann und dem jungen Mädchen. Von mir hatte er über sie nichts gehört – hatte er’s von Lemke? Mir fiel auch auf, daß er bei Brigitte aufgetaucht war, obwohl ich ihm von ihr nichts gesagt hatte. Hatte er mir nachspioniert? War schon unsere erste Begegnung auf der Autobahn nicht Zufall gewesen, sondern bewußt von ihm gesucht? Hatte er mir auch damals gerade nachspioniert?
Alles wurde noch verworrener. Daß Peschkalek von Lemke über Leo und mich gehört hatte und zugleich die Wahrheit über Lemkes Anschlag rauskriegen wollte, paßte nicht zusammen. Hatte er nicht von Lemke, sondern von der Polizei über Leo und mich und meine Ermittlungen gehört? Er liest die Notiz im Viernheimer Tageblatt, wird neugierig, ermittelt, erfährt von einem Gewährsmann bei der Polizei, daß ich auch ermittle, und heftet sich an meine Fersen? Und hinter allem steckt zufällig sein alter Kumpan Lemke? Mir war das zuviel Zufall.
Als ich nach langer Fahrt am Abend in Mannheim war, hatte ich Rückenschmerzen, aber keine Antworten auf meine Fragen. Ich wußte nur, wo ich die Antworten suchen wollte. Das Telephonbuch wies Peschkaleks Wohnung und Atelier in der Böckstraße aus. Ich rief Brigitte an, sagte ihr, daß ich noch unterwegs sei und auf acht Uhr käme, bat sie, auch Peschkalek auf acht zum gemeinsamen Abendessen einzuladen, und parkte rechtzeitig in der Böckstraße. Kurz vor acht trat er aus dem Haus, setzte sich in seinen Golf und fuhr los. Er hatte nicht einmal die Straße hinauf- und hinuntergeschaut. Ich las die Klingeln und ging ins Haus.
Der Hausflur war eng und düster. Nach wenigen Schritten weitete er sich links zum Treppenhaus. Geradeaus führte er in den Hinterhof. Peschkaleks Klingel war neben einer Tafel mit sechs Klingeln montiert. Das sprach für das Hinterhaus, und als ich mich an die Dunkelheit gewöhnt hatte, erkannte ich auch das Schild mit dem Pfeil, der geradeaus zeigte.
Im Hof stand eine alte Ulme und lehnte sich ein zweistöckiger hölzerner Schuppen an die Brandmauer des Nachbarhauses. Neben der Außentreppe zum zweiten Stock war wieder das Schild: »Atelier Peschkalek«. Ich folgte dem Pfeil und stieg hoch. Der Treppenabsatz war groß genug, um von Peschkalek mit einem Tisch und zwei Liegestühlen als Balkon genutzt zu werden. Die Tür hatte nur ein Guckloch, das vom Treppenabsatz zugängliche Fenster war vergittert. Ich griff in die Tasche, öffnete den großen Ring, an dem rund hundert Systemschlüssel hängen, und probierte einen nach dem anderen aus. Es war still im Hof. In der Ulme rauschte der Wind.
Es dauerte lange, bis ich den Schlüssel hatte, der sich drehte, der griff und Riegel und Falle löste. Die Tür öffnete sich in einen großen Raum. Die Längswand zeigte die unverputzte Brandmauer des Nachbarhauses. Rechts gingen drei Türen ab und führten in ein winziges Schlafzimmer, eine schrankgroße Küche und ein Bad, das zugleich Dunkelkammer war und in dem die Bedürfnisse der Körperpflege vor denen des Filmentwickeins kapituliert hatten. Links sah ich durch zwei große Fenster in den Nachbarhof. Eine Lücke in der Bebauung der Hafenstraße gab sogar einen schmalen Blick auf die Hallen und Kräne des Handelshafens und den roten Streifen frei, den die untergegangene Sonne am blassen Himmel hinterlassen hatte.
Es dämmerte, und ich mußte mich beeilen. Zwar war der Raum voller Lampen, die ihn taghell hätten erleuchten können. Es gab auch schwarze Jalousien an den Fenstern. Aber eine klemmte. So mußte ich mir einen Überblick verschaffen, was da war, und Interessantes im fensterlosen Badezimmer näher in Augenschein nehmen.
Ich merkte bald, daß Peschkalek trotz des Durcheinanders von Lampen, Vorhängen, Spanischen Wänden, venezianischem Sessel, Klavierhocker, Standuhr, Styroporsäule und Musikboxattrappe auf Ordnung hielt. In der einen Schublade seines Schreibtisches war das Papier mit Briefkopf, in der anderen das ohne, in die nächste hatte er die Umschläge nach Größe sortiert, und in der letzten verwahrte er die Büroutensilien vom Locher bis zur Schere. Die unerledigte Post und die unbezahlten Rechnungen lagen in einem Körbchen auf der Schreibtischplatte. Alles, was nicht zu unmittelbarer Erledigung anstand, mußte sich in den Ordnern befinden, die die rechte Wand zwischen den Türen füllten. Sie trugen keine Aufschriften, sondern Nummern von 1.1 bis 1.7 und unter vierzehn
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