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Selbs Betrug

Selbs Betrug

Titel: Selbs Betrug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Schlink
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mit ihm rum, und er hat dich zusammengeschlagen. Das war er doch? Der mir damals begegnet ist, als ich dich gefunden habe, blutig und fertig?«
    »Ja. Aber ich hatte keine Ahnung, daß sie in Spanien waren. Leo hat ein- oder zweimal angerufen, und es klang weit weg – das war alles.«
    »Komisch.« Sie drehte sich um, kuschelte sich mit dem Rücken an mich und schlief ein.
    Mir war klar, was sie komisch fand. Wie kommt ein Polizist in einem gottverlassenen Dorf in der spanischen Provinz dazu, sich um deutsche Terroristen zu kümmern? Nicht ohne einen Hinweis. Ich stellte mir den deutschen Touristen vor, der im Ausland zur Polizei geht und zu Protokoll gibt, er erkenne in den Bewohnern des benachbarten Bungalows gesuchte Terroristen. Dann fiel mir der Hinweis ein, der Rawitz und Bleckmeier zu mir geführt hatte, und vor allem der andere, der mich ins Gefängnis gebracht hatte. Der war nicht von einem Touristen gekommen. Ebensowenig der Hinweis, der Tietzke zu Wendts Leiche geholt hatte. Auf mich mochte einer hingewiesen haben, der mich zufällig gesehen und erkannt hat, ein Mannheimer, den ein schöner, sommerlicher Tag in den Odenwald und nach Amorbach gelockt hatte. Den Hinweis auf Wendts Leiche hatte Wendts Mörder gegeben.

26
Spitzes Kinn und breite Hüften
    Philipp war nicht in seinem Krankenzimmer.
    »Er ist im Garten.« Die Krankenschwester trat mit mir ans Fenster. Im Morgenmantel ging er um einen kleinen runden Teich, jeden Schritt so vorsichtig setzend, als bewege er sich auf dünnem Eis. Ich sah ihm zu. So laufen alte Männer, und wenn Philipp auch bald wieder normal laufen würde – eines Tages würde es nur noch so vorangehen. Eines Tages würde auch ich nur noch so vorankommen.
    »Ich bin schon bei der dritten Runde. Vielen Dank, deinen Arm brauche ich nicht, ich nehme auch den Stock nicht, den sie mir geben wollen.«
    Ich lief neben ihm her und widerstand der Versuchung, mit derselben Vorsicht aufzutreten wie er.
    »Wie lange behalten Sie dich noch?«
    »Ein paar Tage, vielleicht eine Woche – du kriegst nichts raus aus den Ärzten. Wenn ich ihnen sage, daß sie mir nun wirklich nichts vormachen müssen, lachen sie. Ich hätte mich selber operieren sollen, dann wüßte ich jetzt Bescheid.«
    Ich überlegte, ob das geht.
    »Ich muß hier raus.« Er fuchtelte mit den Armen. Die jungen, hübschen Krankenschwestern machten ihm zu schaffen. »Es ist verrückt – ich hab sie immer gemocht, die netten wie die biestigen, die knackigen und die weichen. Ich gehöre nicht zu den Männern, die große Brüste brauchen oder blondes Haar. Wenn sie jung waren, wenn sie diesen Blick hatten, diesen leeren Blick, bei dem du nicht weißt, ob er alles durchschaut oder nichts begreift, wenn sie so dufteten, wie nur junge Frauen duften können – das war’s. Jetzt«, er schüttelte den Kopf, »jetzt kann eine noch so nett sein und mir schöne Augen machen – ich sehe nicht das junge Mädchen, das sie ist, sondern die alte Frau, die sie mal sein wird.«
    Ich verstand nicht. »Eine Art Röntgenblick?«
    »Nenn’s, wie du willst. Da ist zum Beispiel morgens Schwester Senta, ein süßes Gesicht, zarte Haut, spitzes Kinn, kleiner Busen und breite Hüften, tut streng, aber kichert gern – früher hätte es geknistert. Jetzt sehe ich sie an und sehe vor mir, wo sie eines Tages vom Strengtun den mißmutigen Zug um den Mund kriegt, wo auf der Backe die Adern platzen, wie der Hüftspeck über die Taille quillt – ist dir übrigens schon aufgefallen, daß alle Frauen mit spitzem Kinn breite Hüften haben?«
    Ich versuchte, mir Kinne und Hüften der Frauen, die ich kenne, zu vergegenwärtigen.
    »Oder Verena, die Nachtschwester. Ein rassiges Weib, aber was jetzt verrucht aussieht, sieht bald nur noch verlottert aus. Früher wär mir das schnuppe gewesen. Jetzt seh ich’s, und der Ofen ist aus.«
    »Was hast du gegen verlotterte Frauen? Ich dachte, du siehst Helenen in jedem Weibe.«
    »Hab ich auch, und ich hab’s immer gerne so gehabt und würde es gerne weiter so haben.« Er schaute traurig. »Aber es klappt nicht mehr. Jetzt sehe ich in jeder Frau nur die Xanthippe.«
    »Vielleicht liegt es einfach daran, daß du krank bist. Du warst noch nie krank, oder?«
    Er hatte diese Erklärung auch schon erwogen. Aber er hatte sie verworfen. »Es war ein alter Traum von mir, einmal im Krankenhaus Patient zu sein und von den Schwestern verwöhnt zu werden.«
    Es gelang mir nicht, ihn aufzumuntern. Auf dem Rückweg zur Station

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