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Selbs Betrug

Selbs Betrug

Titel: Selbs Betrug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Schlink
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quengelten, weil sie auch noch was wollten, aber nicht wußten, was. In einer Nische der Hauswand stand eine Madonna mit hellblauem Kleid und dunkelblauem Umhang. Zwei Tische weiter saß eine Frau mittleren Alters, las Zeitung, trank Wein und war vergnügt. Sie gefiel mir. Alleine in ein Gasthaus gehen, sich’s dort mit Zeitung und Wein wohl sein lassen – das machen, Emanzipation hin, Emanzipation her, Männer, nicht Frauen. Sie machte es. Manchmal schaute sie auf, manchmal trafen sich unsere Blicke.
    Als die Taxe da war, die mir der Wirt bestellt hatte, und ich bezahlt hatte, ging ich an ihren Tisch, setzte mich, sagte ihr, wie gut sie mir gefiel, und stand auf und war weg, kaum daß sie sich verwundert lächelnd für das Kompliment bedankt hatte. Ich glaube, ich habe ein bißchen gestottert.
    Auf der Fahrt nach Heidelberg war ich zuerst stolz auf mich. Ich bin eigentlich schüchtern. Dann fing ich an, mich zu ärgern. Warum war ich weggelaufen? Warum nicht sitzen geblieben? Hatte nicht eine Einladung in ihrem Blick gelegen, ein Versprechen in ihrem Lächeln?
    Schon wollte ich den Fahrer umkehren lassen. Aber ich tat’s nicht. Man soll nicht zuviel auf einmal wollen. Und das Versprechen – vielleicht hatte sie es nur gegeben, weil sie mir ansah, daß sie es nicht würde halten müssen.

22
Schreiben Sie einen Artikel!
    Bei Brigitte saß Peschkalek: »Wir wollten Sie zusammen besuchen, da kam der Anruf von Hauptkommissar Nägelsbach. Herzlichen Glückwunsch – Sie sind bis zur Hauptverhandlung aus der Untersuchungshaft entlassen?«
    »Ich weiß nicht. Vielleicht muß ich nicht einmal zur Hauptverhandlung. Einen störrischen alten Mann, der darauf besteht, daß der Anschlag in Viernheim war und nicht in Käfertal – vielleicht hält man ihn lieber raus aus dem Prozeß.«
    Peschkalek runzelte die Stirn. »Sie haben gesagt, daß der Anschlag in Viernheim war?«
    Ich nickte. »Ich glaube, man hat mich entlassen, weil …«
    »Sie sind wohl von allen guten Geistern verlassen!« Peschkalek unterbrach mich fassungslos. »Ich hatte Ihnen doch gesagt, wie es laufen muß. Im Prozeß sollten Sie die Bombe platzen lassen. Jetzt war’s nur ein Bömbchen, das niemand gehört und gesehen hat. Was wird jetzt aus dem Prozeß?« Er wurde wütend. »Was haben Sie sich eigentlich gedacht? Sie haben meine ganze Arbeit kaputtgemacht – soll ich wieder von vorne anfangen? Daß die Polizei einen Anschlag vertuscht, interessiert Sie nicht mehr? Ihnen ist egal, daß der Prozeß eine Farce wird?« Jetzt schrie er mich an.
    Ich verstand nicht. »Was ist los? Bomben platzen zu lassen ist Ihr Geschäft, nicht meines. Schreiben Sie einen Artikel!«
    »Einen Artikel!« Er winkte ab, nicht mehr wütend, nur müde. »Es ist verrückt. Da ist das Ziel zum Greifen nahe, wir haben den Bericht von den Amis, Sie stehen vor dem Prozeß, und dann war’s nichts.«
    Brigitte sah vom einen zum anderen. »Den Bericht, den ich …«
    Ich wollte nicht, daß sie weiterredete. Solange mir nicht klar war, warum Peschkalek ein solches Theater machte, wollte ich ihn nicht wissen lassen, daß ich der Polizei den Bericht gezeigt hatte. Also fuhr ich Peschkalek an: »Was war nichts? Und was heißt das: Sie stehen vor dem Ziel, und ich stehe vor dem Prozeß? Was ist das Ziel?«
    Aber er winkte wieder ab und stand auf. Das Lächeln war gequält: »Tut mir leid, daß ich laut geworden bin. Hat nichts mit Ihnen zu tun, ist das Erbteil meines Vaters. Meine Mutter hält’s mit ihm nur aus, weil sie ein Hörgerät hat und abschaltet, wenn er laut wird.«
    Brigitte überredete ihn, zum Essen zu bleiben. Nach dem Essen half er Manu beim Aufsatz. Ein Besuch im Planetarium wurde eine fetzige Reportage, und Manu war von ihm begeistert. Auch Brigitte war angetan. Als er ihr in der Küche beim Abwasch half, bat er sie ums Du. Beim Wein fand sie, wir sollten uns doch auch duzen, und ich konnte schlecht nein sagen. »Gerd« – »Ingo« – wir stießen an. Aber mir war nicht wohl dabei.

23
RIP
    Am nächsten Tag fuhr ich nach Husum. Es ist eine Fahrt ans Ende der Welt; hinter Gießen werden die Berge und Wälder eintönig, hinter Kassel die Städte ärmlich, und bei Salzgitter wird das Land flach und öde. Wenn bei uns Dissidenten verbannt würden, würden sie ans Steinhuder Meer verbannt. Beim Sekretariat der Evangelischen Akademie hatte ich telephonisch erfahren, daß der Leiter, von dem mir Tietzke als einem ehemaligen Gefährten Lemkes berichtet hatte, derzeit den

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