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Selbs Betrug

Selbs Betrug

Titel: Selbs Betrug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Schlink
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stützte er sich auf meinen Arm. Schwester Eva half ihm ins Bett. Sie hieß nicht nur so, sondern sah auch so aus, aber er würdigte sie keines Blickes. Als ich ging, hielt er mich fest. »Muß ich jetzt dafür büßen, daß ich die Frauen geliebt habe?«
    Ich ging. Aber ich ging zu spät. Sein trauriges Grübeln hatte mich angesteckt. Da macht einer die Frauen zum Sinn seines Lebens, nichts Flüchtiges wie Ruhm und Ehre, nichts Äußerliches wie Geld und Gut, nicht die trügerische Gelehrsamkeit und nicht die eitle Macht. Aber es hilft ihm nicht; die Sinn- und Lebenskrise kommt trotzdem, wie bei allen anderen. Mir fiel nicht einmal ein Verbrechen ein, mit dem Philipp seine Lebenslüge retten könnte.
    Ich rief Frau Büchler an: »Ich weiß den Mörder. Aber ich kenne sein Motiv nicht und habe keine Beweise. Vielleicht weiß Herr Wendt mehr, als er weiß – ich sollte jetzt wirklich mit ihm reden.«
    »Rufen Sie in ein paar Stunden noch mal an. Ich gucke, was sich machen läßt.«
    Ich ging in den Luisenpark und fütterte die Enten. Um drei sprach ich wieder mit Frau Büchler. »Seien Sie morgen vormittag in Ihrem Büro. Er weiß noch nicht, wann er bei Ihnen vorbeikommt, aber er kommt vorbei.« Sie zögerte einen Moment. »Er ist ein machtgewohnter Mann und kann herrisch und ruppig sein. Zugleich ist er sensibel. Was Sie ihm Schmerzliches über seinen Sohn und dessen Tod sagen müssen – bitte sagen Sie’s vorsichtig. Und drücken Sie ihm nicht die Rechnung in die Hand, sondern schicken Sie sie mir.«
    »Frau Büchler, ich …«
    Sie legte auf.

27
Nägel mit Köpfen
    Um neun Uhr war ich in meinem Büro. Ich goß die Zimmerpalme, leerte die Aschenbecher, wischte auf Schreibtisch und Aktenschrank Staub und legte Füllhalter und Bleistifte ordentlich nebeneinander.
    Es klingelte. Über das Autotelephon unterrichtete mich der Chauffeur, Wendt werde in einer halben Stunde bei mir sein.
    Er fuhr im Mercedes vor. Der Chauffeur hielt ihm den Schlag auf. Ehe Wendt ausstieg, musterte er das Haus und mein Büro, das verspiegelte Rauchglas in Tür und Schaufenster des ehemaligen Tabakladens und die goldene Schrift: »Gerhard Selb, Private Ermittlungen«. Er wuchtete sich aus dem Auto und blieb stehen, vorsichtig, tastend, als müsse er für seinen schweren Körper die Balance finden. Ein Elefant, der den Rumpf wiegt, Kopf und Rüssel schwingt und bei dem man nicht weiß, ob er verlernt hat, seine Kraft zu gebrauchen, oder ob er gleich losstapft und alles platt macht. Mit schweren Schritten kam er an die Tür. Ich öffnete.
    »Herr Selb?« Seine Stimme dröhnte.
    Ich begrüßte ihn. Trotz der sommerlichen Temperatur fror er und behielt den Mantel an.
    Als wir uns am Schreibtisch gegenübersaßen, kam er sofort zur Sache: »Wer hat ihn umgebracht?«
    »Sie werden ihn nicht kennen. Ihr Sohn und er waren einmal befreundet, dann hatten sie jahrelang nichts miteinander zu tun, und jetzt haben sich ihre Wege wieder gekreuzt, und sie sind aneinandergeraten. Ich weiß noch nicht, ob er Ihren Sohn unter Druck gesetzt hat oder umgekehrt von Ihrem Sohn unter Druck gesetzt wurde, ob er was von Ihrem Sohn wollte oder Ihr Sohn was von ihm. Hatten Sie mit Ihrem Sohn in den Tagen oder auch Wochen vor seinem Tod Kontakt?«
    »Wo denken Sie denn hin? Wir sind Vater und Sohn! Er ist studiert und hat das Examen und den Doktor – manchmal ist es mir zu hoch, was er spricht und macht. Und er versteht oft nicht, wie meine Sachen laufen. Aber er hat mich immer respektiert, immer.« Der alte Wendt polterte. Dabei blieb sein Gesicht starr. Mit starken Knochen an Schläfen, Backen und Kinn war es eckig, trotz des vielen Fetts, die Augen sahen unter breiter Stirn und wulstigen Brauen hervor, ohne daß die Pupillen zitterten oder die Lider zuckten, nur der Mund bewegte sich und ließ die Worte herausdröhnen.
    »Herr Wendt, kennen Sie die Gegend zwischen Viernheim und Lampertheim? Den Wald, in dem die Amerikaner ein Lager haben?«
    »Wieso?«
    »Ihr Sohn hatte mit einem Anschlag zu tun, der dort verübt wurde, genau gesagt mit den Leuten, die den Anschlag verübt haben. In seiner Aktentasche fand sich ein Plan der Gegend. Hat die Polizei Ihnen nichts davon gesagt?«
    Er schüttelte den Kopf. »Was für ein Plan?«
    »Nichts Tolles. Er zeigte das Autobahndreieck Viernheim und ein paar Kilometer darum herum mit den Gemarkungs- oder Abteilungsnummern, eine schwarzweiße Kopie in DIN   A   4.«
    »Rolf …« Er redete nicht weiter.
    »Ja?«
    »Ich hätte

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