Selbs Betrug
Zentimeter lange Flächen rot markiert. Manche Flächen waren mit besonders breiter Schraffur, einige zusätzlich mit einem Fragezeichen gekennzeichnet. War das da, wo Giftgas vom Ersten Weltkrieg vergraben war oder vermutet wurde? Die Karte hatte keine Legende. Sie trug auch keine Überschrift, nur eine vierteilige Zahl, die Angabe des Maßstabs, einen Stempel mit Reichsadler und Hakenkreuz und ein Handzeichen, das nicht zu entziffern war.
Ich faltete die Karte wieder zusammen. Ich habe keinen Safe, aber noch nie hat jemand meinen Aktenschrank aufgebrochen. Ich legte die Karte in das mittlere Fach unter die Schreckschußpistole. Ob es Kopien gab? Ich nahm an, daß Lemke damals eine gemacht hatte, die er jetzt für die Vorbereitung des Anschlags brauchen konnte. Vielleicht hatte sie ihn überhaupt auf die Idee gebracht. Sonst war mit Kopien nicht viel anzufangen, damals nicht und jetzt nicht. Kein Immobilienhändler würde für sie gezahlt haben, keine Zeitung sich für sie interessieren.
Dann studierte ich das Schattenspiel, das die Sonne und die goldene Schrift meiner Glastür auf den Boden zauberte: lange, leichte Buchstaben, die nach oben elegant auseinanderstrebten. Bis zum Abend hatte ich nichts zu tun. Aber ich hatte auch auf nichts Lust. Ich wollte die Sache hinter mich und den Fall zu seinem Ende bringen.
Ich aß im Kleinen Rosengarten Kalbsschnitzel in Zitronensauce. In einer frühen Nachmittagsvorstellung sah ich einen Film, in dem zuerst sie ihn liebt, aber er sie nicht, dann er sie, aber sie ihn nicht, dann keiner keinen und schließlich, nach einer zufälligen Begegnung nach vielen Jahren, er sie und sie ihn. Ich schwitzte, schwamm und schlief im Herschelbad. Ich wachte auf, als Peschkalek und Brigitte mir einen Geburtstagskuchen brachten, dessen Kerzen ich ausblasen sollte und nicht konnte. Die beiden standen neben mir, redeten auf mich ein und schlugen mir auf die Schultern. Immer wieder trafen sich dabei ihre Hände. Als ich spürte, daß sie sich festhielten, wollte ich mich umdrehen. Aber ich konnte nicht. Sie hatten mich in einen Schraubstock gespannt.
Ich wickelte mich aus dem Leintuch und sah auf die Uhr. Es war soweit.
29
Zweierlei Ding
Ich hatte mir den Schlüssel gemerkt. Das Schloß war sofort auf.
Ich sah mich um. Eineinhalb Stunden mußten reichen; länger konnte ich Brigitte, die meine Anregung gerne aufgegriffen und Peschkalek wieder eingeladen hatte, nicht vertrösten. Ich rief sie an. »Es tut mir leid, aber …«
»Wird’s bei dir wieder später?«
»Ja.«
»Ist nicht so schlimm. Manu ist auch noch nicht zu Hause. Wann kommst du?«
Die Standuhr schlug. »Es ist jetzt acht. Halb zehn – das sollte ich schaffen. Laßt’s euch schmecken, und laßt mir was übrig.«
»Wird gemacht.«
Es war ein bißchen länger hell als beim letztenmal. Noch konnte ich gut sehen. Diesmal warf ich nicht nur ein paar Blicke in den Schreibtisch, sondern suchte jedes Fach und jede Schublade nach der Pistole ab. Ebenso schaute ich hinter jeden Ordner. Ich ging das Schlafzimmer durch, tastete mich im Schrank von den Pullovern über die Hemden und die Unterwäsche zu den Socken und klopfte jede Jacke und jede Hose ab. Ich fand seine Schuhe nicht; da war kein entsprechender Schrank, kein entsprechendes Regal, und sie lagen auch nicht einfach herum. Ein Mann ohne Schuhe – das konnte nicht sein. Als ich mir das Bett vornahm und die Matratze hochhob, fand ich die Schublade, die unter das Bett gebaut war, und in ihr Schuhe über Schuhe, nach Farben sortiert und blank gewienert. Sie ganz herauszuziehen, um hinter ihr Ende zu schauen, erwies sich im engen Zimmer als schwierig. Aber ich schaffte auch das, kroch bäuchlings unter das Bett und tastete den Raum zwischen Schubladenende und Wand ab. Nichts.
Unter dem Bett war es eng, und ich wollte raus. Aber raus ging es schwerer als rein. Ich stemmte die Hände gegen die Wand, strampelte mit den Beinen und kam nicht weit. Mit den Beinen hatte ich mich unter das Bett geschoben. Aber ich konnte mich mit ihnen nicht hervorziehen. Da sieht man mal wieder, dachte ich, in eine Sache reinzugeraten und aus ihr rauszukommen ist zweierlei Ding. Mir fielen das Kloster und die Ehe ein, Fremdenlegion und schlechte Gesellschaft. Mir fiel der Löschteich ein, in den ich als kleiner Junge gesprungen war. Ich hatte gerade schwimmen gelernt. Nach zwei Runden merkte ich, daß an den glatten Betonwänden kein Hoch- und Rauskommen war. Ich war gefangen.
Schließlich stemmte
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