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Selbs Justiz

Selbs Justiz

Titel: Selbs Justiz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Schlink
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überprüfen. Womöglich waren die beiden nicht besonders gescheit, und es war kein großes Problem, die Falle zu überlisten. Aber was sollte ich machen? Mich in Computer einarbeiten? Die anderen Spuren verfolgen? Welche anderen Spuren gab es denn? Ich war ratlos.
    »Für Herrn Oelmüller und mich ist das Ganze sehr peinlich«, sagte Thomas. »Wir waren sicher, mit der Falle den Täter zu stellen, und haben das dummerweise auch gesagt. Die Zeit drängt, und trotzdem sehe ich nur die Möglichkeit, in mühevoller Kleinarbeit alle unsere Prämissen und Schlußfolgerungen zu überprüfen. Vielleicht sollten wir auch mit dem Hersteller des Systems reden, nicht wahr, Herr Oelmüller? Können Sie uns sagen, Herr Selb, wie Sie weiter vorgehen wollen?«
    »Ich muß mir alles erst einmal durch den Kopf gehen lassen.«
    »Ich wäre froh, wenn Sie mit uns in Kontakt blieben. Setzen wir uns Montag vormittag wieder zusammen?«
    Als wir schon standen und uns verabschiedeten, fiel mir noch einmal der Unfall ein. »Was ist eigentlich bei Ihrer Suche nach den Ursachen der Explosion herausgekommen, und erfolgte der Smogalarm zu Recht?«
    »Den Smogalarm scheint das RRZ zu Recht veranlaßt zu haben. Bei der Unfallursache sind wir jedenfalls so weit, daß es nichts mit unserem Rechner zu tun hat. Ich muß Ihnen nicht sagen, wie erleichtert ich war. Ein gebrochenes Ventil – das haben die Leute vom Anlagenbau zu verantworten.«

14
Lange Leitung
    Bei guter Musik kann ich gut nachdenken. Ich hatte die Anlage eingeschaltet, das ›Wohltemperierte Klavier‹ aber noch nicht aufgelegt, weil ich mir in der Küche erst ein Bier holen mußte.
    Als ich zurückkam, hatte meine Nachbarin einen Stock tiefer ihr Radio laut gestellt und ließ mich ihren derzeitigen Lieblingsschlager hören. ›We’re living in a material world and I’m a material girl …‹
    Ich stampfte vergebens auf den Boden. Also zog ich den Hausmantel aus und die Schuhe und das Jackett an, ging eine Treppe tiefer und klingelte. Ich wollte das ›material girl‹ fragen, ob in seiner ›material world‹ nicht doch noch Platz sei für Rücksicht. Auf mein Klingeln wurde nicht geöffnet, und aus der Wohnung drang keine Musik. Offensichtlich war niemand zu Hause. Die anderen Nachbarn waren in Urlaub, und über meiner Wohnung ist nur noch der Speicher.
    Dann merkte ich, daß die Musik aus meinem eigenen Lautsprecher kam. Ein Radio habe ich an meine Anlage nicht angeschlossen. Ich spielte am Verstärker rum und kriegte die Musik nicht weg. Ich legte die Platte auf. Bach konnte in den Forti den ominösen anderen Kanal mühelos übertönen, mußte sich die Piani aber mit dem Nachrichtensprecher des Südwestfunks teilen. Irgend etwas schien an meiner Anlage kaputt zu sein.
    Vielleicht lag es am Mangel guter Musik, daß mir an dem Abend nicht mehr viel einfiel. Ich spielte ein Szenario durch, in dem Oelmüller der Täter war. Da paßte alles bis auf die Psychologie. Der Schalk und Spieler war er gewiß nicht – konnte er der Erpresser sein? Nach allem, was ich über Computerkriminalität gelegentlich mitbekommen hatte, würde jemand, der mit dem Computer arbeitete, diesen anders für seine kriminellen Zwecke einsetzen. Er würde das System benutzen, aber nicht blamieren.
    Am nächsten Morgen suchte ich vor dem Frühstück ein Radiogeschäft auf. Ich hatte meine Anlage noch einmal ausprobiert, und die Störung war weg. Das irritierte mich erst recht. Ich kann es nur schlecht ertragen, wenn die Infrastruktur sich unberechenbar zeigt. Da mag das Auto zwar noch fahren und die Waschmaschine noch waschen, solange nicht auch das letzte unbedeutende Signallämpchen von preußischer Pünktlichkeit ist, habe ich keine Ruhe.
    Ich geriet an einen kompetenten jungen Mann. Er hatte Mitleid mit meinem technischen Unverstand, fast hätte er mit freundlicher Herablassung Opa zu mir gesagt. Ich weiß natürlich auch, daß Radiowellen nicht erst durch das Radio angelockt werden, sondern immer da sind. Das Radio macht sie lediglich hörbar, und der junge Mann erklärte mir, daß fast dieselben Schaltkreise, die das im Empfänger leisten, auch im Verstärker vorhanden sind, und unter gewissen atmosphärischen Bedingungen funktioniert der Verstärker als Empfänger. Da war nichts zu machen, das konnte man nur hinnehmen.
    Auf dem Weg von der Seckenheimer Straße zu meinem Café in den Arkaden am Wasserturm kaufte ich mir die Zeitung. Immer liegt bei meinem Händler neben meiner ›Süddeutschen‹ die

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