Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Selbs Justiz

Selbs Justiz

Titel: Selbs Justiz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Schlink
Vom Netzwerk:
Montag im Taxi vergessen.

12
Bei den Käuzchen
    Das Problem der Schuld- und Kausalketten trug ich meinen Freunden beim Doppelkopf vor. Ein paarmal im Jahr treffen wir uns mittwochs in den ›Badischen Weinstuben‹ zum Spielen. Eberhard, der Schachgroßmeister, Willy, Ornithologe und Emeritus der Universität Heidelberg, Philipp, Chirurg an den Städtischen Krankenanstalten, und ich.
    Philipp ist mit seinen siebenundfünfzig Jahren unser Benjamin, Eberhard unser zweiundsiebzigjähriger Nestor. Willy ist ein halbes Jahr jünger als ich. Wir kommen mit dem Doppelkopfspielen nie sehr weit, wir reden zu gerne.
    Ich erzählte von Schneiders Vorleben, seiner Spielleidenschaft und davon, daß ich einen Verdacht gegen ihn hatte, an den ich selber nicht recht glaubte, dessentwegen ich ihn aber hart angefaßt hatte. »Zwei Stunden später hängt sich der Mann auf, ich glaube, nicht wegen meines Verdachts, sondern weil er die Aufdeckung seiner fortdauernden Spielleidenschaft voraussah. Bin ich an seinem Tod schuld?«
    »Du bist doch der Jurist«, sagte Philipp. »Habt ihr keine Kriterien für so was?«
    »Juristisch bin ich nicht schuld. Aber mich interessiert das menschliche Problem.«
    Die drei guckten ratlos. Eberhard sinnierte. »Dann darf ich ja beim Schach nicht mehr gewinnen, weil mein Gegner sensibel sein und sich die Niederlage so zu Herzen nehmen könnte, daß er sich deswegen umbringt.«
    »Also, wenn du weißt, daß die Niederlage der Tropfen ist, der sein Depressionsglas zum Überlaufen bringt, dann laß die Finger von ihm und such dir einen anderen Gegner.«
    Mit diesem Bescheid Philipps war Eberhard nicht zufrieden. »Was mach ich beim Turnier, wo ich mir den Gegner nicht aussuchen kann?«
    »Also, bei den Käuzchen …«, setzte Willy an. »Mir wird immer klarer, warum ich die Käuzchen so liebe. Die fangen ihre Mäuse und Spatzen, versorgen ihre Jungen, leben in ihren Baumhöhlen und Erdlöchern, brauchen keine Gesellschaft und keinen Staat, sind mutig und schneidig, ihren Familien treu, haben tiefe Weisheit im Auge, und so ein weinerliches Gerede über Schuld und Sühne hab ich bei ihnen noch nie gehört. Im übrigen, wenn’s euch nicht ums Juristische, sondern ums Menschliche geht: Alle Menschen sind an allem schuld.«
    »Komm du mir mal unters Messer. Wenn mir das ausrutscht, weil mich die Krankenschwester scharf macht, sollen dann alle hier schuld sein?« Philipp machte eine weitausholende Handbewegung. Der Ober verstand sie als Bestellung einer weiteren Runde und brachte ein Pils, einen Laufener Gutedel, einen Ihringer Vulkanfelsen und einen Grog von Rum für den erkälteten Willy.
    »Na, jedenfalls kriegst du’s mit uns allen zu tun, wenn du den Willy verschnipselst.« Ich prostete Willy zu.
    Er konnte nicht zurückprosten, sein Grog war noch zu heiß.
    »Keine Angst, ich bin doch nicht blöd. Wenn ich dem Willy was tu, können wir ja nicht mehr Doppelkopf spielen.«
    »Genau, spielen wir noch eine Runde«, sagte Eberhard. Aber noch ehe Hochzeiten angezeigt und Schweinchen gemeldet werden konnten, faltete er nachdenklich sein Blatt zusammen und legte das Häufchen auf den Tisch. »Nun mal ernsthaft, ich als der Älteste kann das am ehesten ansprechen. Was wird aus uns, wenn einer von uns … na, wenn halt … ihr wißt schon.«
    »Wenn nur noch unser drei beisammen sind?« grinste Philipp. »Dann spielen wir Skat.«
    »Wissen wir keinen neuen vierten Mann, einen, den wir vielleicht jetzt schon als fünften dazunehmen könnten?«
    »Ein Pfarrer war doch ganz gut, bei unserem Alter.«
    »Wir müssen doch nicht immer spielen, wir tun’s ja sowieso nicht. Wir könnten doch auch mal einfach essen gehen oder was mit Frauen unternehmen. Ich bring jedem eine Krankenschwester mit, wenn ihr nur wollt.«
    »Frauen«, sagte Eberhard mißbilligend und faltete sein Blatt wieder auseinander.
    »Das mit dem Essen ist jedenfalls eine Idee.« Willy ließ sich die Karte bringen. Wir bestellten alle. Das Essen war gut, und wir vergaßen Schuld und Tod.
    Auf dem Heimweg merkte ich, daß ich zu Schneiders Selbstmord einen großen Abstand gewonnen hatte. Ich war nur noch gespannt, wann Firner sich wieder melden würde.

13
Interessieren Sie die Einzelheiten?
    Es passiert nicht oft, daß ich vormittags zu Hause bleibe. Nicht nur, weil ich viel unterwegs bin, sondern weil ich mich dem Büro selbst dann kaum entziehen kann, wenn ich nichts dort verloren habe. Das ist ein Relikt aus meiner Zeit als Staatsanwalt. Vielleicht

Weitere Kostenlose Bücher