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Selbs Justiz

Selbs Justiz

Titel: Selbs Justiz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Schlink
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genommen. Du hast sie doch gesehen, gestern, die kleine Indonesierin im Aufzug. Sie hat ihre Freundin mitgebracht. Hier geht die Post ab.«
    Brigitte war mit der Flasche und zwei Gläsern ins Zimmer gekommen, hatte eingeschenkt und mir ein Glas gebracht. Ich hatte ihr die Mithörmuschel gegeben, und Brigitte sah mich bei Philipps letzten Sätzen belustigt an.
    »Kennst du jemand bei der Gerichtsmedizin in Heidelberg, Philipp?«
    »Nein, sie arbeitet nicht bei der Gerichtsmedizin. Bei McDonald’s auf den Planken arbeitet sie. Wieso?«
    »Ich will nicht die Blutgruppe von Big Mac, sondern von Peter Mischkey, der von der Gerichtsmedizin in Heidelberg untersucht wurde. Und ich möchte wissen, ob du die rauskriegen kannst. Darum.«
    »Das muß doch nicht jetzt sein. Komm lieber vorbei, wir besprechen das morgen beim Frühstück. Aber bring dir eine mit. Ich strampel mich doch nicht ab, damit du absahnst.«
    »Muß es eine Asiatin sein?«
    Brigitte lachte. Ich legte den Arm um sie. Sie kuschelte sich spröde an mich.
    »Nein, bei mir ist’s wie im Bordell in Mombasa, alle Rassen, alle Klassen, alle Farben, alle Sparten. Und falls du wirklich kommst, bring noch was zum Trinken mit.«
    Er legte auf. Ich legte auch den anderen Arm um Brigitte. Sie lehnte sich in meinen Armen zurück und sah mich an. »Und nun?«
    »Jetzt nehmen wir die Flasche und die Gläser und die Zigaretten und die Musik mit rüber ins Schlafzimmer und legen uns ins Bett.«
    Sie gab mir einen kleinen Kuß und sagte mit geschämiger Stimme: »Geh du schon vor, ich komme gleich.«
    Sie ging ins Bad. Ich fand bei ihren Platten eine von George Winston, legte sie auf, ließ die Schlafzimmertür offen, knipste das Nachttischlämpchen an, zog mich aus und legte mich in ihr Bett. Ich genierte mich ein bißchen. Das Bett war breit und roch frisch. Wenn wir heute nacht nicht gut schlafen würden, wären allein wir schuld.
    Brigitte kam ins Schlafzimmer, nackt, nur mit dem Ohrring im rechten und dem Pflaster am linken Ohrläppchen. Sie pfiff die Musik von George Winston mit. Sie war ein bißchen schwer in den Hüften, hatte Brüste, die mit ihrer Größe beim besten Willen nicht umhinkonnten, sich sanft zu neigen, breite Schultern und hervortretende Schlüsselbeine, die ihr etwas Verletzliches gaben. Sie schlüpfte unter die Decke und in meine Armbeuge.
    »Was hast du am Ohr?« fragte ich.
    »Och«, sie lachte verlegen, »ich habe mir beim Kämmen sozusagen den Ring aus dem Ohr gekämmt. Es hat nicht weh getan, ich hab nur geblutet wie eine Sau. Übermorgen hab ich den Termin beim Chirurgen. Der schneidet die Rißwunde glatt und macht sie wieder zusammen.«
    »Darf ich dir den anderen Ohrring rausmachen? Sonst hab ich Angst, ihn dir auch noch rauszureißen.«
    »So ein Leidenschaftlicher bist du?« Sie machte ihn sich selber raus.
    »Komm, Gerhard, laß dir die Armbanduhr abmachen.« Es war schön, wie sie sich über mich beugte und an meinem Arm nestelte. Ich zog sie zu mir herunter. Ihre Haut war glatt und duftig. »Ich bin müde«, sagte sie mit verschlafener Stimme. »Erzählst du mir eine Einschlafgeschichte?«
    Ich fühlte mich wohl. »Es war einmal ein kleiner Rabe. Er hatte, wie alle Raben, eine Mutter.« Sie knuffte mich in die Seite. »Die Mutter war schwarz und schön. Sie war so schwarz, daß alle anderen Raben neben ihr grau waren, und sie war so schön, daß alle anderen neben ihr häßlich waren. Sie selbst wußte das nicht. Ihr Sohn, der kleine Rabe, sah und wußte es wohl. Er wußte noch viel mehr: daß schwarz und schön besser ist als grau und häßlich, daß Rabenväter so gut und so schlecht sind wie Rabenmütter, daß man am richtigen Ort falsch und am falschen richtig sein kann. Eines Tages, nach der Schule, flog der kleine Rabe in die Irre. Er sagte sich zwar, daß ihm nichts würde passieren können: In der einen Richtung müßte er irgendwann auf seinen Vater und in der anderen irgendwann auf seine Mutter stoßen. Trotzdem hatte er Angst. Er sah unter sich ein weites, weites Land mit kleinen Dörfern und großen glänzenden Seen. Das war putzig anzuschauen, ihm aber erschreckend unbekannt. Er flog und flog und flog …« Brigittes Atem war gleichmäßig geworden. Sie kuschelte sich noch mal in meinem Arm zurecht und begann mit leicht geöffnetem Mund leise zu schnarchen. Ich zog vorsichtig den Arm unter ihrem Kopf hervor und machte das Licht aus. Sie drehte sich auf die Seite. Ich mich auch, und wir lagen wie die Löffelchen im

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