Selbs Justiz
aufgreifen wollte, den sein Kollege für das sozial- und wirtschaftsgeschichtliche Forschungsprojekt angebahnt hatte. Meine Gesprächspartner zeigten sich verblüfft; mein Kollege habe ihnen doch gesagt, daß ihre mündlichen Zeugnisse für das Forschungsprojekt nichts hergäben. Ich war irritiert; ein Anruf nach dem anderen mit demselben nichtssagenden Ergebnis. Bei einigen bekam ich immerhin mit, daß Mischkey auf ihre Aussagen deswegen keinen Wert gelegt hatte, weil sie erst nach 1945 bei den RCW zu arbeiten begonnen hatten. Sie waren verärgert, weil mein Kollege bei einem Inserat, das gleich auf das Kriegsende abgestellt hätte, ihnen die Mühe der Zuschrift hätte ersparen können. »Unkostenerstattung hat es geheißen, kriegen wir jetzt von Ihnen unser Geld?«
Kaum hatte ich aufgelegt, klingelte es bei mir.
»Bei dir kommt man ja nie durch. Mit welcher Frau hast du denn so lange telephoniert?« Babs wollte sichergehen, daß ich den geplanten gemeinsamen Konzertbesuch am Abend nicht vergessen hatte. »Ich bringe Röschen und Georg mit. Denen hat ›Diva‹ so gut gefallen, daß sie sich Wilhelmenia Fernandez nicht entgehen lassen wollen.«
Natürlich hatte ich’s vergessen. Und eine Windung meines Gehirns war während des Ordnerstudiums abgeschweift und hatte die Frage einer Abendgestaltung unter Einbeziehung Brigittes hin- und hergewendet. Ob es noch Karten gab?
»Um Viertel vor acht am ›Rosengarten‹? Vielleicht bringe ich noch jemanden mit.«
»Also doch eine Frau am Telephon gewesen. Ist sie hübsch?«
»Sie gefällt mir.«
Es war nur noch eine Frage der Vollständigkeit, daß ich an Vera Müller in San Francisco schrieb. Es gab nichts, wonach ich sie präzise fragen konnte. Vielleicht hatte Mischkey ihr präzise Fragen gestellt, mein Brief versuchte, eben dies herauszubekommen. Ich nahm ihn und ging zur Hauptpost am Paradeplatz. Auf dem Heimweg kaufte ich fünf Dutzend Schnecken für nach dem Konzert. Für Turbo besorgte ich frische Leber; ich hatte ein schlechtes Gewissen, weil ich ihn am Vorabend allein gelassen hatte.
Wieder zu Hause, wollte ich mir ein Sandwich machen, mit Sardinen, Zwiebeln und Oliven. Frau Buchendorff ließ mich nicht dazu kommen. Sie hatte am Vormittag im Werk für Firner noch etwas schreiben müssen, war auf dem Heimweg durch die Zollhofstraße an den ›Traber-Pilsstuben‹ vorbeigekommen und war sich ganz sicher, davor einen der Schläger vom Ehrenfriedhof erkannt zu haben.
»Ich stehe hier in der Telephonzelle. Er ist noch nicht wieder rausgekommen, denke ich. Können Sie gleich kommen? Wenn er wegfährt, fahr ich ihm nach. Fahren Sie wieder nach Hause, wenn ich nicht hier bin, ich rufe Sie dann wieder an, wenn ich kann.« Ihre Stimme überschlug sich.
»Mein Gott, Mädchen, mach keinen Quatsch. Es langt, wenn du dir die Autonummer merkst. Ich komme sofort.«
10
Fred hat Geburtstag
Im Treppenhaus überrannte ich beinahe Frau Weiland, beim Rausfahren nahm ich fast Herrn Weiland mit. Ich fuhr über den Bahnhof und die Konrad-Adenauer-Brücke, vorbei an erbleichenden Fußgängern und errötenden Ampeln. Als ich nach fünf Minuten in der Zollhofstraße vor den ›Traber-Pilsstuben‹ hielt, stand Frau Buchendorffs Auto noch gegenüber im Halteverbot. Von ihr selbst keine Spur. Ich stieg aus und ging in die Kneipe. Eine Theke, zwei, drei Tische, Musikbox und Flipper, etwa zehn Gäste und die Wirtin. Frau Buchendorff hatte ein Pilsglas in der einen und eine Bulette in der anderen Hand. Ich stellte mich zu ihr an die Theke. »Grüß dich, Judith. Bist du auch mal wieder in der Gegend?«
»Hallo, Gerhard. Trinkst du ein Pils mit?« Zum Pils bestellte ich zwei Buletten. Der Typ an ihrer anderen Seite sagte: »Die Fleischlaberln, die macht der Chefin ihre Mutter.« Judith stellte mir ihn vor. »Das ist der Fred. Ein echter Wiener. Er hat was zu feiern, sagt er. Fred, das ist der Gerhard.«
Er hatte schon tüchtig gefeiert. Mit der ramponierten Leichtigkeit des Betrunkenen bewegte er sich zur Musikbox, stützte sich bei der Wahl der Platten so auf, als sei nichts, und stellte sich, als er zurückkam, zwischen Judith und mich. »Die Chefin, unsere Silvia, ist ja auch aus Österreich. Drum feier ich meinen Geburtstag am liebsten bei ihr im Lokal. Und schaut’s, da hab ich mein Geburtstagsgeschenk.« Er tätschelte Judith mit breiter Hand den Po.
»Was machst du beruflich, Fred?«
»Marmor und Rotwein, Import und Export. Und selbst?«
»In der Sicherheitsbranche, Objekt-
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