Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Selbs Justiz

Selbs Justiz

Titel: Selbs Justiz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Schlink
Vom Netzwerk:
verhält?«
    »Für die Strafverfolgung hilft das auch nicht weiter. Aber du hast recht, das ist das letzte, was er noch machen kann.«
    Es tat gut, wie die zwei im Frage-und-Antwort-Spiel klärten, worüber ich in meinem angeschlagenen Zustand nicht richtig nachdenken konnte. Blieb mir also ein Gespräch mit Korten.
    Frau Nägelsbach machte einen Eisenkrauttee, und wir redeten über Kunst. Nägelsbach erzählte, was ihn daran reizte, die betenden Hände zu realisieren. Er fand die gängigen plastischen Wiedergaben nicht weniger süßlich als ich. Gerade deswegen war es ihm ein Anliegen, durch die strenge Struktur des Streichholzes zur erhabenen Nüchternheit des Dürerschen Vorbilds zu gelangen.
    Beim Abschied versprach er mir, das Kennzeichen von Schmalz’ Citroën zu überprüfen.
    Der Zettel für Brigitte hing immer noch an der Haustür. Als ich im Bett lag, rief sie an. »Geht’s dir besser? Tut mir leid, daß ich nicht noch mal nach dir schauen konnte, ich hab’s einfach nicht geschafft. Wie sieht dein Wochenende aus? Meinst du, du bist imstande, morgen abend zu mir zum Essen zu kommen?« Irgendwas stimmte nicht. Ihre Munterkeit klang angestrengt.

22
Tee in der Loggia
    Auf dem Anrufbeantworter fand ich am Samstag morgen eine Nachricht von Nägelsbach und eine von Korten. Das polizeiliche Kennzeichen am Citroën des alten Schmalz war vor fünf Jahren an einen Heidelberger Postbeamten für einen VW -Käfer ausgegeben worden. Von dessen verschrottetem Vorgänger stammte vermutlich das Nummernschild, das ich gesehen hatte.
    Korten fragte, ob ich nicht am Wochenende bei ihnen in der Ludolf-Krehl-Straße vorbeischauen wolle. Ich solle ihn doch zurückrufen.
    »Mein lieber Selb, schön, daß du anrufst. Heute nachmittag einen Tee in der Loggia? Du hast einigen Wirbel bei uns gemacht, höre ich. Und klingst erkältet, aber das wundert mich nicht, ha ha. Deine Kondition, alle Achtung.«
    Um vier war ich in der Ludolf-Krehl-Straße. Für Inge, falls es denn noch Inge sein sollte, hatte ich einen herbstlichen Blumenstrauß dabei. Ich bestaunte das Eingangstor, die Videokamera und die Sprechanlage. Sie bestand aus einem Telephonhörer an langem Kabel, den der Chauffeur einem Kasten neben dem Tor entnehmen und seiner Herrschaft in den Wagen reichen konnte. Als ich mich mit dem Hörer in mein Auto setzen wollte, hörte ich Korten mit gequälter Geduld, mit der man mit einem unartigen Kind spricht: »Mach keinen Quatsch, Selb! Die Seilbahn ist schon zu dir unterwegs.«
    Bei der Fahrt hatte ich den Blick von Neuenheim über die Rheinebene bis zum Pfälzer Wald. Es war ein klarer Tag, und ich konnte die Schlote der RCW erkennen. Ihr weißer Rauch verlor sich unschuldig im blauen Himmel.
    Korten, in Manchesterhose, kariertem Hemd und lässiger Strickjacke, begrüßte mich herzlich. Um ihn sprangen zwei Dachshunde. »Ich habe in der Loggia decken lassen, es ist dir doch nicht zu kalt? Du kannst auch eine Strickjacke von mir haben, Helga strickt mir eine nach der anderen.«
    Wir standen und genossen den Blick. »Ist das deine Kirche da unten?«
    »Die Johanneskirche? Nein, wir gehören kirchlich zur Friedenskirche in Handschuhsheim. Ich bin da Presbyter geworden. Schöne Aufgabe das.«
    Helga kam mit der Kaffeekanne, und ich wurde meine Blumen los. Ich hatte Inge nur flüchtig gekannt und wußte auch nicht, ob sie gestorben, geschieden oder einfach weggegangen war. Helga, neue Frau oder neue Geliebte, glich ihr. Dieselbe Munterkeit, dieselbe falsche Bescheidenheit, dieselbe Freude über meinen Blumenstrauß. Das erste Stück gedeckten Apfelkuchen aß sie mit uns. Dann: »Ihr Männer wollt sicher unter euch sein.« Wie es sich gehört, widersprachen wir beide. Und wie es sich gehörte, ging sie trotzdem.
    »Ich darf noch ein Stück Apfelkuchen essen? Er schmeckt vorzüglich.«
    Korten lehnte sich im Sessel zurück. »Ich bin sicher, daß du einen guten Grund hattest, am Donnerstag abend unseren Werkschutz zu erschrecken. Wenn es dir nichts ausmacht, wüßte ich ihn gerne. Ich habe dich neulich ins Werk gewissermaßen eingeführt und jetzt die staunenden Blicke abbekommen, als deine Eskapade bekannt wurde.«
    »Wie gut kanntest du den alten Schmalz, bei dessen Beerdigung ein persönlicher Abschied von dir verlesen wurde?«
    »Du hast im Schuppen doch nicht nach der Antwort auf diese Frage gesucht. Aber gut, ich kannte ihn besser und mochte ihn lieber als alle anderen Werkschützer. Damals in den dunklen Jahren sind wir manchem

Weitere Kostenlose Bücher