Selbs Justiz
gemacht, höre ich. Und klingst erkältet, aber das wundert mich nicht, ha ha. Deine Kondition, alle Achtung.«
Um vier war ich in der Ludolf-Krehl-Straße. Für In-ge, falls es denn noch Inge sein sollte, hatte ich einen herbstlichen Blumenstrauß dabei. Ich bestaunte das Eingangstor, die Videokamera und die Sprechanlage. Sie bestand aus einem Telephonhörer an langem Kabel, den der Chauffeur einem Kasten neben dem Tor entnehmen und seiner Herrschaft in den Wagen reichen konnte. Als 236
ich mich mit dem Hörer in mein Auto setzen wollte, hörte ich Korten mit gequälter Geduld, mit der man mit einem unartigen Kind spricht: »Mach keinen Quatsch, Selb! Die Seilbahn ist schon zu dir unterwegs.«
Bei der Fahrt hatte ich den Blick von Neuenheim über die Rheinebene bis zum Pfälzer Wald. Es war ein klarer Tag, und ich konnte die Schlote der rcw erkennen. Ihr weißer Rauch verlor sich unschuldig im blauen Himmel.
Korten, in Manchesterhose, kariertem Hemd und lässiger Strickjacke, begrüßte mich herzlich. Um ihn sprangen zwei Dachshunde. »Ich habe in der Loggia decken lassen, es ist dir doch nicht zu kalt? Du kannst auch eine Strickjacke von mir haben, Helga strickt mir eine nach der anderen.«
Wir standen und genossen den Blick. »Ist das deine Kirche da unten?«
»Die Johanneskirche? Nein, wir gehören kirchlich zur Friedenskirche in Handschuhsheim. Ich bin da Presbyter geworden. Schöne Aufgabe das.«
Helga kam mit der Kaffeekanne, und ich wurde meine Blumen los. Ich hatte Inge nur flüchtig gekannt und wußte auch nicht, ob sie gestorben, geschieden oder einfach weggegangen war. Helga, neue Frau oder neue Geliebte, glich ihr. Dieselbe Munterkeit, dieselbe falsche Bescheidenheit, dieselbe Freude über meinen Blumenstrauß. Das erste Stück gedeckten Apfelkuchen aß sie mit uns. Dann: »Ihr Männer wollt sicher unter euch sein.« Wie es sich gehört, widersprachen wir beide. Und wie es sich gehörte, ging sie trotzdem.
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»Ich darf noch ein Stück Apfelkuchen essen? Er schmeckt vorzüglich.«
Korten lehnte sich im Sessel zurück. »Ich bin sicher, daß du einen guten Grund hattest, am Donnerstag abend unseren Werkschutz zu erschrecken. Wenn es dir nichts ausmacht, wüßte ich ihn gerne. Ich habe dich neulich ins Werk gewissermaßen eingeführt und jetzt die staunenden Blicke abbekommen, als deine Eskapade bekannt wurde.«
»Wie gut kanntest du den alten Schmalz, bei dessen Beerdigung ein persönlicher Abschied von dir verlesen wurde?«
»Du hast im Schuppen doch nicht nach der Antwort auf diese Frage gesucht. Aber gut, ich kannte ihn besser und mochte ihn lieber als alle anderen Werkschützer.
Damals in den dunklen Jahren sind wir manchem einfa-chen Mitarbeiter nahegekommen, wie das heute gar nicht mehr geht.«
»Der hat Mischkey umgebracht. Und im Hangar ha-be ich dafür den Beweis gefunden, das Mordwerkzeug.«
»Der alte Schmalz? Der konnte keiner Fliege was zu-leide tun. Was redest du dir ein, mein lieber Selb.«
Ohne Judith zu nennen und ohne auf Einzelheiten einzugehen, berichtete ich, was geschehen war. »Und wenn du mich fragst, was mich das alles angeht, dann erinnere dich an unser letztes Gespräch. Ich bitte dich, sanft mit Mischkey umzugehen, und wenig später ist er tot.«
»Und wo siehst du den Grund, das Motiv, für eine solche Tat des alten Schmalz?«
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»Da können wir gleich noch drauf kommen. Zu-
nächst wüßte ich gerne, ob du zum Ablauf noch Fragen hast.«
Korten stand auf und ging mit schweren Schritten auf und ab. »Warum hast du mich nicht gleich angerufen gestern morgen? Dann hätten wir in Schmalz’ Hangar vielleicht noch mehr zum Hergang finden können. Jetzt ist es zu spät. Es stand seit Wochen an – gestern wurde der Gebäudekomplex mit dem alten Hangar abgerissen.
Das war auch der Grund, warum ich vor vier Wochen persönlich mit dem alten Schmalz geredet habe. Ich ha-be versucht, ihm bei einem Schnäpschen zu erklären, daß wir ihm den alten Hangar und auch die Werks-wohnung leider nicht lassen können.«
»Du warst beim alten Schmalz?«
»Ich habe ihn kommen lassen. Natürlich läuft so eine Mitteilung normalerweise nicht über mich. Aber er erinnerte mich immer an die alten Zeiten. Du weißt doch, wie sentimental ich letztlich bin.«
»Und was ist aus den Lieferwagen geworden?«
»Keine Ahnung, da wird sich der Sohn drum ge-
kümmert haben. Aber noch mal, wo siehst du ein Motiv?«
»Ich dachte eigentlich, das könntest du mir sagen.«
»Wie kommst
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